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Kite

Kite

Titel: Kite
Autoren: Blake Crouch
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schlimmer war: Er hatte auf die übliche Masche verzichtet.
    Hatte sich einfach nur hinter den freien Stuhl neben ihr gestellt und gefragt: »Stört es Sie, wenn ich mich hier hinsetze?«
    Und trotz alledem saß sie fast vier Stunden später immer noch an der Bar im Publican, wo sie mit dem Typen in ein reges Gespräch vertieft war und sich von ihm zu einem weiteren Glas von dem vorzüglichen Sauvignon Blanc aus Neuseeland einladen ließ, den sie schon den ganzen Abend getrunken hatte.
    Als der Barkeeper ihr gerade ein frisches Glas hinstellte und ihr einschenkte, gab sie Robs Augen die Schuld daran, dass sie sitzen geblieben und nicht einfach unter dem Vorwand, auf die Toilette zu müssen, verschwunden war – ein Trick, den sie in der Vergangenheit immer wieder benutzt hatte. Natürlich waren Robs Augen schwarz und strahlten eine gewisse Intensitätaus, aber das war nicht alles – sie verrieten auch, dass der Mann, dem sie gehörten, gut zuhören konnte. Einem Mann wie ihm war sie schon eine Ewigkeit nicht mehr begegnet. Die Loser, die sie sonst immer anbaggerten, sahen vielleicht auf den ersten Blick besser aus – mit ihren Tausend-Dollar-Anzügen, dem Kölnischwasser und all dem metrosexuellen Schnickschnack, mit dem ein erfolgreicher Single-Mann in Chicago zu protzen pflegte –, aber dafür waren sie fast alle farblose Langweiler, die sich nur für sich selbst interessierten.
    Werbefuzzis, Anwälte, Manager und hin und wieder ein Investmentbanker – sie alle meinten, dass Frauen wie sie nichts anderes im Sinn hatten, als sich jedes noch so kleine Detail über ihre neuen Sportboote und Chalets in Aspen anzuhören oder darüber, was für einen gewaltigen Kick es ihnen gab – 
»Wie eine Droge, wie Sex, weißt du, was ich meine, Baby?«
 –, das zu tun, was immer sie mit dem Geld anderer Leute machten.
    Nein, Rob war anders.
    Die meisten Abende, an denen sie ausging und nach einem passenden Partner suchte, redete sie nur wenig. In der Regel saß sie nur da, nippte an ihrem Wein und hörte höflich zu, bis sie es keinen Augenblick länger aushielt, Interesse zu heucheln.
    Aber heute Abend war
sie
diejenige gewesen, die die meiste Zeit geredet hatte, und er schien aufrichtig an ihr interessiert gewesen zu sein, als sie ihm von ihrem Job als Sachbearbeiterin bei einer Versicherung erzählte.
    Er hatte intelligente Fragen gestellt, und zwar nicht nur darüber, was sie gegenwärtig machte, sondern wo sie in fünf oder zehn Jahren sein wollte.
    Und er sah gar nicht mal schlecht aus.
    Klar, er hätte sich für einen Laden wie diesen etwas besser anziehen können. Andererseits verstärkten die verwaschenen Jeans, schwarzen Cowboystiefel und das karierte Flanellhemd die Signale, die Rob aussendete.
    Er war echt.
    Sie hatte einen Typen vor sich, der ihr nichts vorspielte und der wahrscheinlich aus dem gleichen Grund unterwegs war wie sie – um jemanden kennenzulernen, der ein wenig Abwechslung in ihren unsäglich eintönigen Alltag brachte.
    Der Barkeeper, ein junger Mann mit Piercings und Tätowierungen, der gerade mal alt genug aussah, dass er Alkohol ausschenken durfte, blieb vor ihnen stehen und sagte: »Ich wollte Ihnen nur Bescheid sagen, dass wir in zehn Minuten schließen. Kann ich Ihnen noch etwas bringen?«
    Rob warf Jessica einen Blick zu. »Noch ein Glas, bevor man uns vor die Tür setzt?«
    Jessica sah auf ihr Weinglas. Ein bisschen war noch drin, aber gegen ein Glas mehr hatte sie nichts einzuwenden – zumal die Maracuja-Limetten-Cocktails, die sie zwischendurch getrunken hatte, allzu leicht die Kehle heruntergegangen waren. Aber sie wollte nicht bei ihrem ersten Date den Eindruck erwecken, sie sei eine Trinkerin.
    »Danke, ich hab genug für heute.«
    Rob beglich die Rechnung mit einem dicken Bündel Scheinen. Dann stand er auf und half ihr in die gebrauchte Martin-Margiela-Jacke. Es war ihr immer noch peinlich, wenn sie daran dachte, was sie dafür bezahlt hatte.
    »Danke, Rob«, sagte sie.
    »Es war mir ein Vergnügen, Jessica.«
    Als sie durch das leere Restaurant schritten, wo die Kellner bereits die Tische für den morgigen Tag neu deckten, sah sie den peinlichen Augenblick kommen. In zehn Sekunden würden sie draußen auf dem Gehsteig stehen, und dann drängte sich die Frage auf, ob der Abend schon vorbei war oder erst beginnen würde.
    Sie hatte nicht vor, gleich mit ihm ins Bett zu gehen – so viel stand fest.
    Aber vielleicht noch schnell auf einen Absacker zu ihm oder zu
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