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Kite

Kite

Titel: Kite
Autoren: Blake Crouch
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Reporter hinter dem gelben Absperrband der Polizei.
    Tom führte mich durch das Chaos und dann ein paar Betonstufen hinunter zur Leiche. Hier unten am Fluss blies ein stärkerer Wind und es war um gut fünf Grad kälter. Ein Geruch nach Wasser und Schlamm wehte zu mir herüber. Mein alter Partner und guter Freund, Sergeant Herb Benedict, lehnte an einem Brückenpfeiler. Er trug einen grauen Konfektionsanzug von Sears, auf dessen Revers sich ein Senffleck befand, und dazu eine breite Krawatte, die vielleicht vor ein paar Jahrzehnten mal modern gewesen war. Als er mich sah, verzog er den Mund, sodass die Enden seines Walrossschnurrbarts nach unten zeigten.
    »Verdammt, Jack, du hast hier nichts zu suchen.«
    »Todeszeitpunkt?«, fragte ich.
    Herb seufzte. »Laut Rechtsmediziner zwischen zwei und drei Uhr morgens.«
    Ich blickte mich nach dem Rechtsmediziner um, konnte ihn aber nirgends sehen.
    »Wo ist Hughes?«
    »Der holt sich gerade einen Kaffee. Jack, du solltest jetzt wirklich …«
    »Fang gar nicht erst damit an, Herb.« Ich drückte die Handflächen aneinander und rieb sie unauffällig, um das Kribbelnloszuwerden, das während meines Fußmarsches zum Tatort begonnen hatte. »Wie wurde sie dort oben aufgehängt?«
    »An den Handgelenken. Der oder die Täter haben ein Kletterseil an einem der Stahlträger befestigt.«
    »Weiß man, woher es stammt?«
    »Das überprüfen wir gerade. Aber damit kommen wir wahrscheinlich nicht weit. Fallschirmschnur bekommt man überall. Ich hab mir welche bei Amazon bestellt und verwende sie als Schnürsenkel. Das Zeug reißt nicht.«
    Ich spähte mit zusammengekniffenen Augen nach oben in den grauen, wolkenverhangenen Himmel und suchte mit meinem Blick die Unterseite der Brücke ab. Nieselregen fiel mir ins Gesicht. »Wie weit oben?«
    »Ungefähr zwölf Meter.«
    Zu steil zum Klettern. »Enterhaken?«, fragte ich.
    Tom schüttelte den Kopf. »Eher unwahrscheinlich.«
    »Woher willst du das wissen?«, fragte ich.
    »Das haben sie in dieser Sendung
Mythbusters
versucht. So ein Ding lässt sich nicht höher als fünf oder sechs Meter werfen.«
    »Wie hat er dann das Seil dort hochbekommen?«, fragte Herb.
    Während die beiden nach oben sahen, suchte ich mit meinen Augen die zerkratzten Holzplanken zu meinen Füßen ab. Nach zehn Sekunden beugte ich mich vor und erkannte einen Gegenstand, der wie ein grauer Stein aussah.
    »Hast du Handschuhe und einen Plastikbeutel dabei?«, fragte ich Tom.
    Tom holte ein Paar Latexhandschuhe hervor und zog sie sich über. Herb gab ihm einen Plastikbeutel zur Aufbewahrung von Beweismaterial. Tom stieß das Bleigewicht mit einem Fingerknöchel hinein. Es hatte die Form einer Träne und die ungefähre Größe einer Walnuss und wog etwa hundert Gramm. An seinem Ende war eine Messingklammer mit einer Angelschnur befestigt.
    »Ein Bleigewicht zum Angeln«, sagte Herb.
    Tom signalisierte mit einem Nicken, dass er sich einen Reim auf das Ganze machte. »Er hat das Ding an eine Testschnur gebunden und über einen der Stützbalken dort oben geworfen, sodass es sich darüber gehakt hat. Dann hat er das Seil daran befestigt und es hochgezogen.«
    »Ich glaube eher, er hat es mit einer Angelrute ausgeworfen«, sagte ich.
    »Meinst du, er hat sein Opfer überredet, mit ihm hierher zum Nachtangeln zu kommen?«
    Ich schüttelte den Kopf. »Nicht, wenn er ein dreißig Meter langes Kletterseil um die Brust gewickelt hatte.« Ich starrte zu den Reportern hinüber. »Wird der Parkplatz der
Sun-Times
nachts bewacht?«
    »Ein Wachmann macht dort seine Runden«, sagte Herb. »Es gibt jedoch keine Überwachungskameras.«
    »Der Täter hat wahrscheinlich dort drüben geparkt und hatte die Sachen im Kofferraum. Oder das Zeug war bereits am Tatort versteckt, als er mit dem Opfer dort ankam. Habt ihr den Fußweg mit UV-Licht untersucht?«
    Herb nickte. »Blut haben wir keins gefunden.«
    Ich schnalzte mit der Zunge und dachte nach. »Dann hat er sie also hierhergelockt, oder sie war bereits bewusstlos, als er sie hergebracht hat. Und dann hat er sie an Ort und Stelle getötet. Was ist mit ihren Fingernägeln?«
    »Sauber«, sagte Herb.
    Mordopfer kratzten oft ihre Angreifer und verschafften damit der Polizei DNS-Material. Saubere Fingernägel bedeuteten, dass der Mörder sein Opfer während des gesamten Tathergangs unter Kontrolle hatte.
    Ich warf einen Blick auf das Kletterseil, das im Wind hin und her baumelte. Wenn man damit einen menschlichen Körper emporziehen wollte,
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