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Kinsey Millhone 04 - Ruhelos

Kinsey Millhone 04 - Ruhelos

Titel: Kinsey Millhone 04 - Ruhelos
Autoren: Sue Grafton
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an der er schnitzte. Er wandte mir sein Gesicht zu, und das verletzte Auge erweckte die Illusion eines Zwinkerns. »Baby, Sie sind nich von hier. Ich kenn alle, die hier wohnen. Und so, wie Sie aussehn, woll’n Sie hier auch nix mieten. Wenn Sie wüßten, wo Sie hinmüßten, dann würden Sie direkt dahin gehn. Statt dess’n schau’n Sie sich um, als würde sich gleich irgendwas auf Sie stürz’n, mich eingeschlossen«, erklärte er und machte eine Pause, um mich zu mustern. »Ich würde sagen, Sie machen Sozialarbeit. Bewährungshilfe oder so was. Vielleicht Sozialhelferin.«
    »Nicht schlecht«, lobte ich. »Aber warum Limardo? Wieso glauben Sie, daß ich ihn suche?«
    Jetzt lächelte er, sein Zahnfleisch schimmerte rosig. »Wir hier sind alle Alvin Limardo. Das is’ ‘n Scherz von uns. Bloß so ‘n Name, den wir den Leuten geben, wenn wir sie an der Nase rumführen wollen. Ich war erst letzte Woche selbst Alvin Limardo, als ich mir Essensmarken geholt hab. Er bekommt Sozialhilfe, Invalidenrente, AFDC. Letzte Woche kam jemand, der ihn verhaften wollte. Hab erzählt, Alvin Limardo wär weg. Gibt jetzt niemanden mehr hier, der so heißt. Dieser Alvin Limardo, den Sie suchen... is’ der weiß oder schwarz?«
    »Weiß«, antwortete ich und beschrieb dann den Mann, der Samstag in mein Büro gekommen war. Der Schwarze nickte, als ich mit der Beschreibung erst halb durch war, sein Messer glättete noch immer die Seife. Es sah aus, als hätte er eine Sau geschnitzt, die auf der Seite lag, umgeben von einem Knäuel Ferkelchen, die an ihr herumkletterten, um gesäugt zu werden. Das Ganze konnte nicht länger als zehn Zentimeter sein.
    »Das ist John Daggett. Oje. Er is’ ‘n schlechter Kerl. Den müssen Sie suchen, aber der is’ weg.«
    »Haben Sie eine Ahnung, wohin er gegangen ist?«
    »Santa Teresa, hab ich gehört.«
    »Schön, ich weiß, daß er letzten Samstag da war. Da hab ich ihn getroffen. Ist er seitdem noch mal hier gewesen?«
    Der Mann verzog skeptisch den Mund. »Ich hab ihn Montag gesehn, und dann is’ er wieder weg. Aber andere Leute suchen den wohl auch. Der benimmt sich wie ‘n Mann, der rennt und nich erwischt werden will. Was woll’n Sie denn von ihm?«
    »Hat mir ‘nen ungedeckten Scheck ausgestellt.«
    Er warf mir einen erstaunten Blick zu. »Sie nehmen ‘nen Scheck von so ‘nem Kerl? Mein Gott, Mädchen! Was is’ denn mit Ihnen los?«
    Ich mußte lachen. »Ich weiß. Ist meine eigene Schuld, verdammt. Ich dachte, ich könnte ihn vielleicht erwischen, ehe er ganz verschwindet.«
    Er schüttelte den Kopf, unfähig, Mitleid mit mir zu haben. »Von solchen dürfen Se nix nehmen. Das is’ der erste Fehler, den Sie gemacht hab’n. Und daß Sie jetzt hierhergekommen sind, könnte der nächste sein.«
    »Gibt es hier irgend jemanden, der wissen könnte, wo ich ihn erreichen kann?«
    Mit dem Messer wies er auf ein Apartment zwei Türen weiter. »Fragen Sie Lovella. Sie könnte es wissen. Aber vielleicht auch nich’.«
    »Ist sie eine Freundin von ihm?«
    »Kann man nich’ sagen. Sie is’ seine Frau.«
    Ich hatte ein bißchen mehr Hoffnung, als ich an die Tür von Apartment 26 klopfte. Ich hatte schon befürchtet, er wäre ausgezogen. Die Tür hatte ungefähr auf Schienbeinhöhe ein großes Loch. Das Schiebefenster stand fünfzehn Zentimeter weit offen, ein Stück Vorhang hing heraus. Ein Sprung lief diagonal über die Scheibe, wurde von einem breiten Streifen Isolierband zusammengehalten. Ich konnte riechen, daß drinnen etwas kochte, Gemüsesuppe oder Grünkohl, mit einem Hauch von Essig und Schinkenspeck.
    Die Tür wurde geöffnet, und eine Frau blinzelte mich an. Ihre Oberlippe war geschwollen wie bei Kindern, we nn sie vom Fahrrad fallen, während sie das Fahren damit lernen. Ihr linkes Auge war vor nicht allzu langer Zeit blau geschlagen worden und verblaßte erst allmählich, und die umgebende Haut wies alle Farben des Regenbogens auf von Gelb bis Grau. Ihr Haar hatte die Farbe von Heu, war in der Mitte gescheitelt und wurde über jedem Ohr von einer Klemme gehalten. Ich konnte auch nicht annähernd erraten, wie alt sie sein konnte. Jünger jedenfalls, als ich erwartet hatte, nachdem ich John Daggetts Alter auf über fünfzig schätzte.
    »Lovella Daggett?«
    »Richtig.« Sie schien zu zögern, soviel zugegeben.
    »Ich bin Kinsey Millhone. Ich suche John.«
    Sie fuhr sich mit der Zunge über die Oberlippe, als hätte sie sich noch nicht an die neue Form und Größe gewöhnt. Auf der
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