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Kinsey Millhone 01 - Nichts zu verlieren

Kinsey Millhone 01 - Nichts zu verlieren

Titel: Kinsey Millhone 01 - Nichts zu verlieren
Autoren: Sue Grafton
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verwandte den Rest des Morgens auf Hintergrundforschung. Wenn man zum erstenmal jemand befragt, ist es immer nützlich, ein paar Informationen in petto zu haben. Ein Besuch bei der Kreisverwaltung, bei der Auskunftei und im Zeitungsarchiv lieferte mir genügend Fakten, um eine grobe Skizze des früheren Sozius von Laurence Fife zu entwerfen. Charlie Scorsoni war offenbar ledig, besaß ein eigenes Haus, zahlte seine Rechnungen pünktlich, trat hin und wieder als Versammlungsredner für eine ehrenwerte Sache ein — kurz, er war ein ziemlich konservativer Mann mittleren Alters, der weder spielte noch an der Börse spekulierte und sich in keiner Weise gefährdete. Ich hatte ihn verschiedentlich bei dem Prozeß gesehen und ihn als etwas übergewichtig in Erinnerung. Sein jetziges Büro war von meinem aus zu Fuß erreichbar.
    Das Gebäude selbst sah aus wie eine Maurenfestung: zwei Stockwerke aus Adobeziegeln mit zwei Fuß tiefen Fenstersimsen, in die schmiedeeiserne Gitter eingelassen waren, und ein Eckturm, der wahrscheinlich die Toiletten und Besen beherbergte. Scorsoni und Powers, Rechtsanwälte, saßen im Oberstock. Ich stieß eine massive Tür aus geschnitztem Holz auf und befand mich in einem kleinen Empfangsraum, dessen Teppichboden weich wie Moos unter den Füßen war und auch ungefähr den gleichen Farbton hatte. An den weißen Wänden hingen abstrakte Aquarelle in verschiedenen zarten Variationen, und hier und dort waren Pflanzen; zwei dicke Sofas aus spargelgrünem Breitkord standen im rechten Winkel zueinander unter einer Reihe schmaler Fenster.
    Die Sekretärin der Firma sah aus wie Anfang Siebzig, und ich dachte zuerst, sie sei vielleicht von irgendeiner Altenagentur ausgeliehen worden. Sie war dünn und energisch, mit einem Bubikopf direkt aus den zwanziger Jahren und einer »poppigen« Brille, die ein Kristallschmetterling am unteren Rand des einen Glases zierte. Sie trug einen Wollrock und einen hellen, malvenfarbenen Pullover, den sie selbst gestrickt haben mußte, denn er war ein Meisterwerk aus Waben, Kornähren, Zöpfen, Perl- und Picotmustern. Sie und ich wurden sofort Freundinnen, als ich sie deswegen lobte — hatte doch meine Tante mir ein Bewußtsein für solche Leistungen anerzogen —, und bald redeten wir uns beim Vornamen an. Der ihre war Ruth, sehr schön biblisch.
    Sie war ein geschwätziges kleines Ding, voller Elan, und ich fragte mich, ob sie nicht genau richtig für Henry Pitts wäre. Da Charlie Scorsoni mich warten ließ, rächte ich mich damit, daß ich Ruth so viele Auskünfte entlockte, wie ich konnte, ohne unverschämt zu erscheinen. Sie erzählte mir, daß sie für Scorsoni und Powers schon seit der Gründung ihrer Partnerschaft vor sieben Jahren arbeitete. Ihr erster Mann hatte sie wegen einer jüngeren Frau (fünfundfünfzig) sitzenlassen, und Ruth, zum erstenmal seit Jahren auf sich gestellt, verzweifelte fast daran, jemals eine Anstellung zu finden, da sie damals zweiundsechzig war, »wenn auch bei bester Gesundheit«, wie sie sagte. Sie war schnell, fähig und wurde natürlich alle naselang von Frauen ausgespielt, die nur ein Drittel ihres Alters hatten und hübsch waren, statt kompetent zu sein.
    »Was ich noch an Kurven habe, da sitze ich drauf«, meinte sie und lachte sich gleich selber aus. Ich gab Scorsoni und Powers mehrere Punkte für ihre Urteilskraft. Ruth hatte nichts als begeisterte Worte für die beiden. Ihre Schwärmereien bereiteten mich allerdings kaum auf den Mann vor, der über den Schreibtisch hinweg meine Hand schüttelte, als ich endlich mit fünfundvierzig Minuten Verspätung in sein Büro vorgelassen wurde.
    Charlie Scorsoni war stämmig, aber alles Übergewicht, an das ich mich zu erinnern meinte, war verschwunden. Er hatte dichtes, sandfarbenes Haar, das an den Schläfen zurückwich, breite Kiefer, ein gespaltenes Kinn und blaue Augen, die hinter einer großen randlosen Brille noch größer aussahen. Sein Hemdkragen stand offen, die Krawatte saß schief, die Ärmel waren so weit aufgerollt, wie seine muskulösen Unterarme es erlaubten. Er lehnte zurückgekippt in seinem Drehstuhl, die Füße auf der Schreibtischkante, und in seinem langsam aufsteigenden Lächeln glomm verhaltene Sexualität. Er wirkte abwartend, wach, und er widmete sich meinem Anblick mit beinah verwirrender Aufmerksamkeit fürs Detail. Er verschränkte die Hände über dem Kopf. »Ruth sagte mir, Sie haben ein paar Fragen über Laurence Fife. Was gibt’s?«
    »Ich weiß noch nicht.
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