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King of the World

King of the World

Titel: King of the World
Autoren: David Remnick
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seinen hervorquellenden traurigen Augen von jedem anderen Schreiber, der ihn besucht hatte. Baldwins sanftes Wesen war etwas völlig anderes als die oberschlaue Art der meisten Journalisten, denenListon begegnet war, daher redete er mit Baldwin auch in einem anderen Ton, ohne Deckung. »Die Farbigen sagen, sie wollen nicht, daß ihre Kinder zu mir aufsehen«, sagte Liston zu Baldwin tief bekümmert. »Na ja, sie sagen ihren Kindern ja auch nicht, sie sollen zu Martin Luther King aufsehen.« Liston schien durch Baldwin einen Appell zu formulieren. »Ich wär kein schlechtes Vorbild, wenn ich da oben wär. Ich könnte ’ner Menge von den Kindern sagen, was sie wissen müssen, weil ich das auch durchgemacht hab. Ich könnte sie dazu bringen, daß sie
zuhören

    Nach seiner Begegnung mit Liston war dieser ihm sympathisch geworden, aber er war auch ziemlich verwirrt. Bei Patterson gegen Liston geriet die Schwergewichtsmeisterschaft wieder einmal zum Moralstück; einzigartig war, daß die Gegner beide Schwarze waren und eine völlig konträre Sprechweise, verschiedene Politik- und Kampfstile repräsentierten. Baldwins Essay für
Nugget
war nicht sein bester, doch er bot ihm die Gelegenheit, sich in einige der Themen einzuarbeiten, die er im Jahr darauf in seiner umfassendsten Darstellung des Rassenthemas,
The Fire Next Time
(
Hundert Jahre Freiheit ohne Gleichberechtigung
), entwickeln sollte. »Ich fühlte mich schrecklich zerrissen, so wie viele Neger heute«, schrieb er über Liston, »da wir alle versuchen, auf die eine oder andere Weise zu entscheiden, welche Haltung in unserem schrecklichen amerikanischen Dilemma die wirkungsvollere ist: die disziplinierte Freundlichkeit Pattersons oder die freimütige Unerbittlichkeit Listons … Liston ist ein Mann, der nach Respekt und Verantwortung lechzt. Manchmal wachsen wir mit unserer Verantwortung, aber manchmal scheitern wir natürlich auch daran.«
    Baldwins Antagonist bei dem Kampf, sein einstmaliger Freund Mailer, näherte sich seiner Aufgabe ohne diese Traurigkeit und Bürde. Sah Baldwin dem Abend des Kampfsvoller Beklommenheit entgegen, freute sich Mailer darauf – schließlich war das Ereignis eine Gelegenheit, Zeuge von etwas Denkwürdigem zu werden, aber ebenso eine Gelegenheit zur Selbstdarstellung. Trotz allem, was er an Ehrgeiz, Energie und Eigenwerbung in seine Romane steckte, war seine journalistische Arbeit für
Esquire, Harper’s
und
Life
weit mehr als ein Brotjob. In seinen ungeheuer schnell geschriebenen und langen Berichten von Boxkämpfen und politischen Versammlungen brodelte eine Energie, die die Konventionen der fünfziger Jahre über den Haufen warf. Nie war er mehr in seinem Element als dort in Chicago beim Kampf Patterson gegen Liston. Patterson, schrieb er,
war ein Liberaler für Liberale. Das Schlimmste, was man über Patterson sagen konnte, war, daß er dasselbe wiedergekäute Zeug redete wie die anderen Liberalen. Stellen Sie sich vor, was mit einem wie Patterson passiert, wenn sein Gehirn anfängt, von Wörtern wie »introspektiv«, »Verpflichtung«, »Verantwortung«, »Inspiration«, »Belobigung«, »frustriert«, »Abschottung« abhängig zu sein – man könnte noch ein Dutzend weitere aus seinem Repertoire nennen. Sie alle sind Teil seines Stolzes; er ist ein Junge aus den Slums von Bedford-Stuyvesant, der sich diese Wörter wie Aktien, Bonds und einträgliche Immobilien zugelegt hat. Niemand ist da, der ihm sagt, es wäre besser, er würde sich die Psychologie der Straße bewahren, statt den widersprüchlichen Wunsch zu kultivieren, ein großer Kämpfer und zugleich ein großes, gesundes, reifes, autonomes, zugehöriges, integriertes Individuum zu sein. Was für eine schäbige Rechtschaffenheit Pattersons Bemühungen anhaftet …
    Doch der wahre Grund dafür, daß die Neger in Chicago sich für Patterson entschieden haben, ist der, daß sie sichnicht schon wieder in die Logik von Listons Welt begeben wollten. Der Neger hatte inmitten von Gewalt gelebt, war mit Gewalt aufgewachsen und hatte dennoch eine Lebenssicht entwickelt, die ihm Leben gab. Doch der Preis dafür war für den gewöhnlichen Mann außerordentlich. Die Mehrheit mußte in Schande leben. Die Nachfrage nach Mut mag exorbitant gewesen sein. Als der Neger nun allmählich in die Welt der Weißen kam, wollte er auch die Logik der Welt der Weißen: Rentenversicherung, geistige Hygiene, soziologischer Jargon, Komiteelösungen für Brusterkrankungen. Er hatte die Logik der
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