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Kinder des Wassermanns

Titel: Kinder des Wassermanns
Autoren: Poul Anderson
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Zerfall von Bauwerken, die hier gestanden hatten, seit das Große Eis schmolz, ließ Tauno bis ins Mark erschauern.
    Undeutlich sah er seinen Vater auf sich zukommen. Er ritt auf dem Mörderwal, der seinen Luftraum in der Halle hatte und den niemand sonst zu besteigen wagte. Ansonsten hatte der König nichts anderes als seinen Dreizack, und er war in nichts gekleidet als seine eigene Majestät. Doch irgendwie war sein Ruf zu hören: »Zu mir, mein Volk, zu mir! Schnell, bevor wir sterben! Rettet keine anderen Schätze als eure Kinder – und Waffen – kommt, kommt, kommt, wenn ihr am Leben bleiben wollt!«
    Tauno schüttelte Rinna und Raxi, bis sie halbwegs wieder bei Verstand waren, und brachte sie zu den anderen. Sein Vater, der umherritt und das entsetzte Seevolk zusammenzutreiben versuchte, fand die Zeit, die ernsten Worte an Tauno zu richten: »Du, der du halb sterblich bist, spürst es nicht mehr als mein Reittier. Aber für uns sind diese Gewässer nun mit einem Bann belegt. Für uns wird das Licht lodern und die Glocke läuten, und die Worte werden uns verfluchen bis zum Welten-ende. Wir müssen fliehen, solange wir noch die Kraft dazu haben, und uns in weiter Ferne eine neue Heimat suchen.«
    »Wo sind meine Geschwister?« fragte Tauno.
    »Sie hatten einen Ausflug unternommen«, antwortete der König. Seine Stimme, die wie eine Trompete geschmettert hatte, wurde flach und ausdruckslos. »Wir können nicht auf sie warten.«
    »Ich
kann es.«
    Der König faßte seinen Sohn bei den Schultern. »Das gibt mir neuen Mut. Eyjan allein kann Yria und, aye, den jungen Kennin nicht beschützen. Ich weiß nicht, wohin wir gehen werden. Vielleicht kannst du uns später finden – vielleicht ...« Er schüttelte seine sonnengoldene Mähne. Sein Gesicht verzog sich zu einer Maske der Qual. »Fort!« rief er laut.
    Verwirrt, geschlagen, nackt, die meisten ohne Waffen und Werkzeuge, so folgte das Seevolk seinem Herrn. Tauno blieb zurück, die Fäuste um die Harpune geklammert, bis sie außer Sicht waren. Die letzten Steine der königlichen Halle fielen auf den Meeresgrund, und Liri war eine Ruine.
     

3
    In den acht Jahren, die sie unter Wasser lebte, gebar die schöne Agnete sieben Kinder. Das war weniger, als eine Meerfrau vollbracht hätte, und vielleicht hatte die unausgesprochene Verachtung dieser Frauen sie ebenso auf das Land zurückgetrieben, wie die Glocken der kleinen Kirche und der Anblick strohgedeckter Holzhäuser sie angezogen hatten.
    Denn wenn auch das Seevolk wie andere Bewohner des Feenreichs das Altern nicht kannte (als entschädige sie Der, Dessen Namen sie nicht nannten, auf diese Weise für das Fehlen unsterblicher Seelen), so hatte ihr Leben doch seine Härten. Haie, Mörderwale, Zahnwale, Rochen, Seeschlangen und ein Dutzend anderer tödlicher Fische jagten sie; die Geschöpfe, die wiederum von ihnen gejagt wurden, waren oft
gefährlich;
heimtückische Winde und Wellen konnten ihnen den Tod bringen; viele wurden ein Opfer von giftigen Zähnen und Stacheln, von Kälte, Krankheit und Hunger. Besonders galt das für die Kinder. Man mußte damit rechnen, bis auf einige wenige alle zu verlieren. Der König hatte mit denen, die seine menschliche Gefährtin ihm schenkte, Glück gehabt. Hinter seinem Haus waren nur drei Gräber, auf denen er die Seeanemonen nie hatte sterben lassen.
    Die vier Kinder, die übriggeblieben waren, trafen sich in den Ruinen von Liri. Um sie lagen in chaotischen Haufen die Überreste der Halle und der geringeren Heimstätten. Schon welkten die Gärten, schon zerstreuten sich die Fischherden. Trümmerstücke schwammen umher, Krabben und Garnelen schwärmten durch die Nahrungsvorräte, wie an Land die Raben über eine Leiche herfallen. Der Treffpunkt war dort, wo die Haupttür gewesen war. Der Albatros lag schwingenlos. Der freundliche Herr Ägir war auf das Gesicht gefallen, die Herrin Ran, die Menschen in ihren Netzen fängt, stand grinsend oben. Das Wasser war kalt, und die Wellen, die über ihnen ein Sturm aufgewirbelt hatte, schluchzten um Liri.
    Die Kinder des Wassermanns waren unbekleidet, wie es unter Wasser außer bei Festen üblich war. Doch sie hatten sich mit Messern, Harpunen, Dreizacks und Stein- und Knochenäxten versorgt, um gegen die Bedrohung gewappnet zu sein, die sie außerhalb ihres Gesichtskreises enger und enger einschloß. Keines von ihnen sah ganz und gar nach Seevolk aus. Aber die älteren drei hatten die hohen Wangenknochen, die schrägen Augen und im
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