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Kinder des Judas

Titel: Kinder des Judas
Autoren: Markus Heitz , Markus Heitz
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gefährlich war, blieb Jitka fest entschlossen, genau zwischen den Laternen hindurchzuwischen, der Abstand erschienen ihr groß genug, um mit etwas Geschick nicht bemerkt zu werden.
    Der Nebel um sie herum wirbelte auf, schien immer dichter zu werden und … lebendig! Er formte Strudel und große Wogen, aus denen sich einzelne gespenstische Arme lösten und sich ihr entgegenstreckten; in der Ferne wallte er immer höher, verschluckte die Umrisse der Stadtmauer, die Rauchfahnen aus den Schloten der Häuser – und schließlich die Sterne.
    »Halt!«, befahl ein Mann, dessen Stimme sie als die des Janitscharen erkannte. Wie war er so nah an sie herangekommen? Pferdegeschirr klirrte, und das Trappeln von Hufen kam auf sie zu. »Bleib stehen, Mädchen!«
    Jitka rannte schneller und schneller. Täuschte sie sich – oder wich der Nebel wirklich vor ihr zurück? Es war, als würde sie durch eine schmale Gasse zwischen hohen Mauern hindurcheilen. Und ohne, dass sie sich umschauen musste, spürte Jitka, dass das graue Meer hinter ihr wieder nahtlos zusammenfloss und ihren Verfolgern die Sicht raubte!
    Ein lauter Schrei erklang irgendwo rechts von ihr. Der schwache Lichtschein einer Laterne tanzte hin und her, und sie erkannte die Silhouette eines Soldaten, der mit seinem Säbel um sich schlug. Dann erschien ein dunkler Schatten hinter ihm, eine menschliche Gestalt. Jitka sah es auf dem Kopf funkelnund glitzern, als säßen Sterne darin gefangen. Gleich darauf erlosch die Lampe, und ein zweiter Schrei gellte durch die Nacht, bis er abrupt abriss.
    »Heiliger Theodor, steh mir bei«, flehte das Mädchen und rannte weiter. Milchige Gespensterfinger strichen zärtlich über ihr Gesicht, sie spürte streichelnde Hände auf ihrem Schopf und schrie entsetzt auf.
    Das Pferd des Janitscharen galoppierte direkt vor ihr aus dem Nebel. Jitka warf sich erschrocken zu Boden. Mohammad achtete jedoch nicht auf sie, sondern versuchte die Stelle zu erreichen, an der seinem Soldaten Schreckliches widerfahren war.
    Ein weiterer Schrei brandete auf, und Jitka sah, wie links von ihr die zweite Laterne erlosch. Das Glas zerschellte, aus dem Brüllen wurde ein Kreischen, ausgestoßen in höchster Furcht.
Heilige Mutter Gottes,
rief sie stumm, während sie sich wieder auf die Füße kämpfte.
In diesem Nebel muss ein Upir hausen! Bitte, lass ihn seinen Hunger an meinen Verfolgern stillen und mich verschonen!
    Dann, endlich, durchbrach sie die kühlen Wolken, die ihr Antlitz, die Hände und die Kleidung mit Feuchtigkeit überzogen hatten, und stand vor dem Eingang nach Gruža. Das große Tor war nur angelehnt. Eine weitere Merkwürdigkeit. Jitka zwängte sich hindurch. Keine Wache hielt sie auf, niemand sprach sie an und verlangte zu wissen, was ein kleines Mädchen um diese Zeit allein auf der Straße verloren hatte.
    Sie schlich durch die einsamen Gassen und Straßen zu ihrem Haus. Um Mohammad und seine Soldaten machte sie sich keine Gedanken mehr, sie vertraute auf den Hunger des Upirs. Jitka schauderte und war froh, dass sie das Wesen nicht zu Gesicht bekommen hatte.
    Hinter den Fenstern ihres Heims brannte kein Licht, und als sie vorsichtig näher heranging, sah sie, dass die Tür nicht verschlossenwar. Behutsam trat sie ein, stets bereit, sich zur Flucht zu wenden.
    Es hatte sich nichts verändert, sogar das Fenster war noch immer geöffnet. »Mutter, bist du da?« Jitka ging durch den Wohnraum in die Küche, kehrte zurück und betrat das Schlafzimmer. Sie sah die Bretter, die auf dem Boden lagen; Dielen waren zerbrochen worden, an den Splittern haftete dunkle Flüssigkeit. Blut! Der Janitschar und seine Leute hatten die Decke aufgebrochen und jemanden dort oben gefunden.
    Aber wen? Den Jungen? Wie sollte er dorthin gelangt sein?
    Jitka stellte einen Stuhl auf den Tisch, kletterte hinauf und schwang sich durch das Loch in die Dachkammer, wo die Mutter alte Kleider aufbewahrte und Schnüre zum Trocknen der Wäsche gespannt hatte. In der Mitte gab es eine enge Luke, durch die man den kleinen Raum eigentlich betrat.
    Sie suchte die Dachkammer ab und fand schnell einen zweiten Zugang: Der Fremde hatte Schindeln entfernt, um hineinzuschlüpfen und sich ein Versteck einzurichten; dabei war Regen hereingelaufen, und die Tropfen an der Decke hatten ihn verraten. Der Gesuchte hatte sich ausgerechnet ihr kleines Häuschen ausgesucht, um sich zu verstecken.
    Jitka kehrte zurück in die Wohnräume und suchte verzweifelt nach Hinweisen, was mit ihrer Mutter
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