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Kinder des Judas

Titel: Kinder des Judas
Autoren: Markus Heitz , Markus Heitz
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gebracht werden! »Lauf hinaus«, befahl sie aufgeregt. »Versteck dich dort, wo wir uns unterstellen, wenn wir Gras für die Ziegen schneiden.« Sie sah zur geöffneten Tür, auf die sich mehrere Männer zubewegten. Noch mehr Soldaten kamen in ihr Heim!
    Jitka zitterte am ganzen Körper und starrte auf die türkischen Krieger, die laut rufend auf sie zukamen. »Was geschieht mit dir, Mutter?«
    Sie gab ihr einen Kuss auf die Stirn. »Nichts, kleine Blume. Ich habe nichts getan, das wird sich herausstellen. Bis dahin bleib im Verborgenen.« Janja sprang auf, schob das Kind auf den Ausgang zu – und wurde im gleichen Moment von den Soldaten ergriffen. »Lauf, bevor sie dich erwischen! Ich komme und hole dich, wenn sich alles aufgeklärt hat.«
    Jitka kämpfte die Tränen nieder – und sah zwei bewaffnete Männer auf der Schwelle stehen. Ohne lange nachzudenken, rannte sie nach links, sprang auf den Stuhl, von dort auf den Tisch und öffnete das Fenster, durch das sie gleich danach hinaus in die Gasse hüpfte.
    Als sie aufkam, rutschte ihr der Fuß weg und sie fiel, aber sie rollte sich instinktiv über die Schulter ab und vermied so eine Verletzung. Es war ihr beim Spielen und den ausgedehnten Streifzügen durch die Wälder schon oft aufgefallen, dass sie eine enorme Geschicklichkeit besaß; doch nun kam es vor allem auf Geschwindigkeit an.
    Jitka hetzte durch den eiskalten Regen, der ihre Kleidung binnen Lidschlägen durchweichte. Ihr Weg führte sie nicht zum Stadttor, sondern zum Haus von Milan. Er war ihr bester Spielkamerad gewesen, bis die anderen Kinder sie mehr und mehr aus ihrer Mitte ausgestoßen hatten, wegen des Mals an ihrem Unterarm und des bösen Blicks, den sie angeblich besaß. Milan hatte sich ebenfalls von ihr zurückgezogen, aber er sah sie immer noch freundlich an, wenn sie einander zufällig begegneten. Jitka wollte daher lieber bei ihm Unterschlupf suchen. Sie wusste nicht, wie lange sie in dem Versteck warten musste, und in der Nacht konnten vor den Mauern der Stadt schreckliche Kreaturen lauern.
    Keuchend erreichte sie das Haus und klopfte. Milan öffnete und sah sie verwundert an. »Jitka?« Er warf einen Blick hinaus. »Allein? Um diese Zeit? Was …«
    »Sie haben Mutter gefangen genommen«, erklärte sie abgehackt. »Bitte, lass mich …«
    Die Tür wurde weiter geöffnet, und Milans Vater erschien. Er sah wegen des Barts, der langen dunklen Haare, seinem braunen Hemd und den braunen Hosen aus wie ein Bär. »Wer hat sie gefangen genommen?« Er schlug das Kreuz und vollführte eine Geste, die vor dem Zauber des bösen Blicks schützen sollte.
    Jitka zitterte. »Die Türken!«
    »Dann wird es einen Grund haben.« Der Mann stieß sie zurück in den kalten Regen; um ein Haar wäre sie gestürzt. »Scher dich weg! Sie sollen dich nicht bei uns finden und uns auch noch unglücklich machen«, befahl er und schlug die Tür zu.
    Jitka verstand es nicht. Sie sah Milans Gesicht hinter dem Fenster erscheinen; er sah todunglücklich aus. Seine Lippen bewegten sich, aber das Mädchen begriff nicht, was er ihr sagen wollte.
    Schritte erklangen in der Gasse, sie hörte Rufe auf Türkisch. Die Verfolger hatten nicht aufgegeben; somit blieb ihr keineandere Wahl, als den Anweisungen der Mutter zu gehorchen. Das Klappern von Pferdehufen gesellte sich hinzu, was sie als Zeichen sah, dass sie nun auch noch von dem Janitscharen gehetzt wurde. Aus ihrem Helden war ein Feind geworden, den sie für nichts mehr bewunderte.
    Jitka lief wieder los, schlug Haken, verbarg sich mit klopfendem Herzen immer wieder, bis sie schließlich unbemerkt durch das Stadttor von Gruža schlüpfen konnte. Sie eilte über die Wiesen, auf denen immer wieder die Reste von Schneefeldern lagen. Die kleinen Füße hoben und senkten sich, so schnell sie es vermochten; das Mädchen wagte nicht einmal, über die Schulter nach hinten zu schauen. Zu groß war die Angst, dass sie Verfolger entdeckte: Wenn sie keine sah, das war ihre feste Überzeugung, würde sie ebenfalls nicht gesehen.
     
    Keuchend erreichte Jitka schließlich die Felsformation, wo sich ein Überhang wie eine riesige, versteinerte Nase nach vorne schob und Schutz vor der Witterung bot.
    Das Mädchen warf sich in das dort ausgelegte Stroh, das feucht war und nach Ziegen roch. Sie grub sich wie eine Maus tief in den Haufen ein und spähte aus ihrem Versteck zum ersten Mal in Richtung Stadt.
    Niemand war ihr gefolgt. Doch noch wollte Jitka sich kein Aufatmen gestatten. Gebannt
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