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Kinder des Judas

Titel: Kinder des Judas
Autoren: Markus Heitz , Markus Heitz
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starrte sie auf die Wiesen, beobachtete die Straße, die von Gruža fortführte.
    Die Dämmerung brach herein, Kälte kroch durch die klammen Halme in Jitkas Körper, der vor Kälte bebte. Sie betete unentwegt für ihre Mutter, für deren Wohlbefinden und für die eigene Rettung. Wer hatte sich dort oben auf dem Dachboden verborgen? Und warum ausgerechnet in ihrem Haus? Es fiel ihr keine Lösung ein.
    Gedankenverloren berührte sie das Feuermal an ihrem Arm. Jitka war es gewohnt, dass man sie deswegen mied; doch mitden Fragen des Janitscharen über ihren Vater wusste sie nichts anzufangen.
    Dem Halbdunkel folgte die Nacht. Der Regen prasselte noch immer auf das Land, glucksend rann er rings um das Mädchen durch Felsspalten, kleine Bäche flossen über den Stein und plätscherten in Pfützen. Trotz ihrer Müdigkeit, der Kälte und dem festen Vorhaben, entgegen der Anordnung der Mutter nach Hause zurückzukehren, schlossen sich Jitkas Augen, und sie schlief ein.
Im Traum kehrte sie zurück ins Haus, zusammen mit ihrer Mutter – und einem Mann!
    Sie sah niemals sein Gesicht, etwas war immer dazwischen. Er war groß und kräftig, trug schöne Kleidung und hatte schlanke, saubere Finger; am linken Mittelfinger glänzte ein goldener Siegelring. Das Zeichen darauf konnte sie deutlich erkennen: Es waren drei gekreuzte Dolchpaare, eins oben, zwei darunter.
    Sie standen in der Küche, der Ofen verbreitete angenehme Wärme, und es roch nach Kuchen. Der Mann hielt ihre Mutter im Arm. Sie lachte glücklich, gab ihm einen Kuss und beugte sich zu ihr hinab. »Sag deinem Vater guten Tag, meine Blume«, forderte sie mit einem glücklichen Lächeln.
    Der Traum zerstob in dem Moment, als Jitka versuchte, mit aller Macht einen Blick auf das Gesicht des Mannes zu erhaschen. Sie vernahm ein leises Knistern und Knacken.
    Jitka sah ein kleines Feuer, das im Unterstand entzündet worden war. Die Flammen hatten das Stroh und ihre Kleider bereits getrocknet. Die Wärme, die sie im Traum gespürt hatte, war demnach echt gewesen!
    Sie erhob sich, die Halme fielen raschelnd von ihr herab. »Mutter?« Sie lauschte, konnte aber nichts hören. Der Regenhatte aufgehört, stattdessen hing Nebel hüfthoch wie ein weißes Meer über den Wiesen, bewegte sich und wogte sanft in einem leisen Luftzug. Sterne glänzten am Firmament. Jitkas Atem wurde als weißer Hauch sichtbar.
    Sie fröstelte, sah sich im Unterstand nach Spuren um, entdeckte jedoch nichts. Irgendwo in der Nacht bellte ein Fuchs, ein zweiter stimmte ein. Jitka bekam plötzlich Angst.
    »Mutter, wo bist du?«, rief sie und rückte näher ans Feuer.
    Sie meinte, einen menschengroßen Schatten an der Wand hinter sich bemerkt zu haben, der sich unglaublich schnell bewegte.
    Jedes Härchen in ihrem Nacken richtete sich auf, ihr Herz schlug schneller. Sie kannte die Geschichten vom Upir, dem Wesen, das in der Dunkelheit lauerte und nach dem Blut der Lebenden trachtete. Vielleicht hatte er das Feuer angezündet, damit er sein Opfer besser sah?
    Ein Pferd schnaubte, dann erklangen die Rufe von zwei unterschiedlichen Männerstimmen. Metall schlug gegen Metall. Jitka erschrak, als sie im Nebel die Lichter zweier Laternen erkannte. Die Türken hatten die Suche nach ihr noch nicht aufgegeben – und das Feuer führte sie genau zu ihrem Versteck!
    Sie spürte eine zärtliche Berührung an ihren Haaren, eine tiefe Männerstimme flüsterte ihren Namen. »Ich beschütze dich. Hab keine Angst und folge …«
    »
Nein!«
    Jitka wagte nicht, sich umzuschauen, sondern rannte los, weg vom Unterstand und auf ihr Zuhause zu. Lieber geriet sie den Türken in die Hände als einem Upir!
    Die Strecke bis zum Tor schien mit jedem Schritt, den sie tat, länger zu werden, als rückte eine unsichtbare Macht die Stadt immer weiter an den Horizont. Jitka lief und lief. Sie ignorierte das Stechen in ihrer Seite, den bleiernen Ring, der sich um ihre Lunge zu legen schien, und das laute Pochen des Blutes in ihrenOhren. Fast wunderte es sie, dass allein dieser Lärm ihre Verfolger nicht wieder auf ihre Spur brachte; doch auch diese schienen, wie die Stadt, von magischer Hand verschoben zu werden. Mal waren sie ganz nah, so dass Jitka sich instinktiv duckte, um Schutz zu suchen, dann wieder sah sie die Laternen der Reiter in weiter Ferne. Das Wichtigste aber war, dass die Männer sie noch nicht bemerkt hatten; verlief alles gut, konnte sie zurückkehren und nach Hause eilen, um nach ihrer Mutter zu suchen. Obwohl es
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