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Kinder des Donners

Kinder des Donners

Titel: Kinder des Donners
Autoren: John Brunner
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zusammengereimt. Er hatte sich umge- bracht. Obwohl das im Zustand eines durch Trunken- heit ausgelösten Weltschmerzes geschehen war, hatte er unzweifelhaft eine Todsünde begangen.
    Am Anfang war sie entsetzt. Denn hinterließen die Sünden der Väter nicht ihre Male auf den Kindern, so- gar noch in der dritten oder vierten Generation?
    Seltsamerweise bekam sie jedoch innerhalb einer ver- hältnismäßig kurzen Zeit eine andere Einstellung dazu.
Inzwischen stellte sie sich diese Umstände ihres Lebens ziemlich romantisch vor und hielt ihre angeseheneren
Schulkameradinnen geringschätzig für einfallslos und angepaßt. Sie hatte begonnen, Schritt für Schritt die Grenzen ihrer Möglichkeiten an Ungehorsam zu erfor-
schen, indem sie mit kleineren von der Norm abwei- chenden Handlungen angefangen und sich vor etwa ei- nem Jahr zu Untaten gesteigert hatte, die üblicherweise — das heißt, wenn sie irgendeines der anderen Mäd- chen begangen hätte — eine Bestrafung erster Größen- ordnung nach sich gezogen hätte. Wenn zum Beispiel eine von den anderen von der Schüleraufsicht dabei er-
wischt worden wäre, im Besitz von Fotos zu sein, auf
denen Männer und Frauen in nacktem Zustand in ver- fänglichen Situationen abgebildet waren ...
    Doch Dymphna besaß viele davon, die sie sich durch Bestechung in Form von Küssen und der gelegentlichen
Erlaubnis, ihr in die Bluse zu greifen, vom Laufburschen der Bäckerei beschafft hatte und die sie unter den älte- ren Schülerinnen herumreichte — gegen ein Entgelt. Während der letzten paar Monate hatte sie darüber hin-
aus angefangen, echtes Geld zu verdienen. Der Liefe-
rant des Materials war der ältere Bruder des Laufbur- schen, ein Fernfahrer, der die Möglichkeit hatte, die neuesten Magazine aus Frankreich und Italien einzu-
    schmuggeln. Da er einmal beinah von der Gardia er-
wischt worden wäre, brauchte er einen sicheren Ort, wo
er seine Vorräte verstecken konnte, und er war gewillt, dafür stattlich zu bezahlen. Dymphna tat ihm den Ge- fallen. Wer würde schon in einem Nonnenkloster nach pornografischen Magazinen suchen? Ganz zu schwei-
gen von Kondomen, die mit einer Gewinnspanne von einigen hundert Prozent verkauft wurden!
    Gab es denn keine Grenze, wieweit sie gehen konnte, ohne bestraft zu werden?
    Ich glaube, ich schlage meiner Mutter nach.
    Von der sie gleichfalls wenig wußte, denn sie trafen sich nur einmal im Monat, am Samstag nachmittag, wenn eine Krankenschwester Mrs. Imelda Clancy in ei-
nem Taxi zur Schule begleitete: eine gebrechliche,
unscheinbare Frau, die viel älter aussah, als sie wirklich war, mit einem verkniffenen Gesicht und unordentli- chen grauen Haaren, die wenig sprach und anscheinend noch weniger begriff. Jahrelang hatten die anderen Mädchen die Angewohnheit gehabt, sich nach jedem dieser Besuch über Dymphna lustigzumachen, doch in letzter Zeit hatten sie es aufgegeben, vielleicht, weil sie auf irgendeine unbegreifliche Weise neidisch waren auf den Unterschied zwischen ihrem Leben — mit dem Hauch sensationeller Illustrierten-Stories — und ihren eigenen Zukunftsaussichten, so voraussehbar und lang- weilig.
    Man hatte hinter vorgehaltener Hand erklärt, daß ih- re Mutter, nachdem ihr Vater sie verlassen hatte, einen Nervenzusammenbruch erlitten habe, was der Grund dafür gewesen sei, daß sie in die Obhut der Nonnen ge-
geben worden war. Doch das konnte nur ein Teil der Geschichte sein. Weitere Anhaltspunkte, die der allge- meine Klatsch noch auf Lager hatte, kamen ihr zu Oh-
ren, und so fügte sie Stück für Stück zusammen. An- geblich war ihr »Vater« nicht ihr richtiger Vater (obwohl ihr ein bis in alle Einzelheiten gehendes Verständnis für
    die biologische Elternschaft fehlte, trotz der Verhü-
tungsmittel und Bilder, die sie besaß). Mit anderen Wor- ten, ihre Mutter hatte ihn mit einem anderen Mann be- trogen, und Dymphna war die Frucht einer ehebrecheri- schen Vereinigung.
    Es wurde immer romantischer! Sie mußte also ein Kind der Liebe sein! Und sie fand, daß es kein schöneres Wort geben könnte.
    Wenn sie betete — was sie zu den vorgeschriebenen Zeiten tat, wenn auch ohne Überzeugung, denn sie war alles andere als zufrieden mit der Art, wie sich der Schöpfer nach vollbrachter Tat um sein Werk kümmert —, bat sie nicht um Erlösung, auch nicht um Berufung in den Orden, sondern um etwas, über das die Nonnen in Hysterie ausgebrochen wären. Sie flehte darum, mit ihrem leiblichen Vater vereint zu sein, der
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