Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kinder der Nacht

Kinder der Nacht

Titel: Kinder der Nacht
Autoren: Dan Simmons
Vom Netzwerk:
den Steuerknüppel einen Moment los, nahm einen Kopfhörer von einer Halterung und streifte ihn über den Kopf. Er klopfte auf das Mikrofon, dann hob er den rechten Ohrhörer. »Nein, das glaube ich nicht. Rumänien besitzt eine Luftwaffe, die nachts nicht gerne fliegt.« Er legte Schalter an der Konsole um, worauf sie ein Piepsen aus den Kopfhörern neben sich hören konnte. O'Rourke deutete darauf, und sie streifte sie über.
    »Hörst du mich jetzt besser?« fragte er. Das Heulen der Maschinen und der Lärm der Rotoren waren jetzt fern, seine Stimme klang deutlich im Kopfhörer.
    Sie nickte.
    Er schwenkte nach rechts und stieg über den Vorgebirgen höher. Kate stellte fest, daß sie bereits die gesamte Strecke zurückgelegt hatten, für die sie und Lucian Stunden durch die transsilvanischen Berge zwischen Rîmnîcu Vîlcea und Curtea de Argeş gefahren waren. Sie ließ sich in den Sitz zurücksinken, fand einen Schultergurt und schnallte sich an. Joshua atmete unbeschwert und war am Eindösen. Kate schüttelte den Kopf.
    »Diese Art Hubschrauber ist mit einem Transponder ausgestattet«, sagte O'Rourke über Bordfunk. »Ich vermute, niemand in ganz Rumänien würde sich mit diesem Hubschrauber einlassen, selbst wenn wir die Hauptstadt überfliegen würden.« Sie stiegen weiter in die Höhe. Hohe Gipfel waren vor ihnen zu sehen, aber sie befanden sich schon höher als die schneebedeckten Bergkuppen.
    »Haben wir genügend Treibstoff, damit wir hier rauskommen?« fragte sie in das kleine Mikrofon. O'Rourke wußte, daß sie mit ›hier‹ Rumänien meinte.
    Er lächelte ihr zu. Sein Auge war immer noch fast zugeschwollen und der Mund nach den Schlägen, die sie ihm verabreicht hatten, eine aufgedunsene Masse, aber er sah glücklich aus. »Wenn wir auch nur den leisesten Rückenwind haben, reicht der Treibstoff aus, daß wir im Zentrum von Budapest landen können«, sagte er. »Welche Seite des Flusses ziehst du vor, Buda oder Pest?«
    »Deine Entscheidung«, flüsterte Kate in das Mikrofon. »Ich habe genügend Entscheidungen für einen einzigen Tag getroffen.«
    O'Rourke nickte und konzentrierte sich auf die Kontrollen.
    »Mike«, sagte sie eine Minute später. Sie wiegte Joshua sanft und spürte den warmen Atem des Kindes an der Wange. »Lucian ist tot.«
    »Das tut mir leid«, sagte er. »Möchtest du darüber reden? Und wie hast du alles geschafft?«
    »Bald«, sagte Kate. »Aber sag mir vorher etwas ... weißt du etwas über Lucians Mentor?«
    »Mentor? Nein.« Seine Stimme klang verwirrt.
    »Du warst es nicht?«
    »Nein, Kate.«
    Sie strich dem Baby mit der Hand über den Kopf. Sein Haar war gewachsen. Er bildete Speichelbläschen im Schlaf. Neues Heilmittel bei Cholik, dachte sie unsinnigerweise. Nehmen Sie das Baby auf einen Hubschrauberflug mit. »Könnte es die Kirche gewesen sein ... die Lucians Kampf gegen die Strigoi finanzierte, meine ich?«
    O'Rourke dachte eine Weile nach. »Nein, das glaube ich nicht. Ich glaube, ich hätte davon gehört, wenn die Kirche aktiv in so etwas verwickelt gewesen wäre. Die Kirche konnte all die Jahre nichts Besseres tun, als die Opfer zu versorgen. Es tut mir leid, Kate ... ist das mit dem Mentor sehr wichtig?«
    »Wahrscheinlich nicht«, sagte Kate. Sie flogen jetzt durch vereinzelte Wolken und stiegen immer noch höher. Die Lichter der Instrumente waren rot. O'Rourke machte sich an etwas zu schaffen, dann ging eine Heizung an. Kate fand das Geräusch und das Gefühl der warmen Luft beruhigend, als wäre sie wieder ein Kind, das mit seinen Eltern auf einer nächtlichen Fahrt mit dem Auto unterwegs war, während die Heizlüftung leise blies. Obwohl noch Adrenalin durch ihren Körper gepumpt wurde, fühlte sie sich ein wenig schläfrig.
    »Aber wir müssen über etwas Wichtiges reden«, sagte sie. Das ›uns‹ fügte sie nicht hinzu.
    O'Rourke nickte. Sie sah in seine Richtung und stellte fest, daß er ihr zulächelte. »Ich freue mich darauf, darüber zu reden«, sagte er leise.
    Joshua gab eines der vage beunruhigten Geräusche von sich, die Babys machen, wenn sie träumen, und Kate wiegte ihn sanft. Plötzlich kamen sie aus der Wolkenschicht heraus, und ihr schien, als wäre die Oberfläche der Wolken ein Meer und sie ein Unterseeboot, das zur Oberfläche stieg ... und darüber hinaus. Die Wolken leuchteten unter ihnen in jeder Richtung, soweit das Auge reichte. Hier war nichts von Grenzen, von Nationen, von der Dunkelheit zu spüren, die unter diesen Wolken lag. Es
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher