Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kinder der Nacht

Kinder der Nacht

Titel: Kinder der Nacht
Autoren: Dan Simmons
Vom Netzwerk:
Richtung, die sie meinte.
    Radu Fortuna drehte sich langsam um. »Den Priester?« Er lachte lauthals. »Das alles nur, um Ihren Liebhaber zu retten?« Er spie aus und drehte sich um. Ein Dutzend Wachen der Strigoi hatten Gewehre oder automatische Waffen auf Kates Gesicht gerichtet. Wenn sie schossen, würde Joshua mit ihr abstürzen.
    Kates Arme, die das Baby über die Dunkelheit hielten, waren sehr müde.
    »Lassen Sie ihn frei«, sagte Kate. »Lassen Sie ihn frei, dann komme ich herunter und gebe Ihnen das Kind.«
    Radu Fortuna schnaubte höhnisch. »Nein.«
    Kate drehte sich um und sah nach unten. Es würde ein langer Sturz werden. Sie drehte das Handgelenk, so daß sie die Uhr sehen konnte. 00:22. Zu spät. Sie fragte sich, ob sie und das Baby etwas spüren würden.
    »Ja«, sagte Vernor Deacon Trent mit seiner zitternden Altmännerstimme aus der Menge. »Laßt den Priester frei.«
    »Nu!« schrie Radu Fortuna. »Ich verbiete es!«
    Vernor Deacon Trents Gesicht schien sich vor Kates Augen von etwas Altem und Verbrauchtem zu etwas Mächtigem und nicht völlig Menschlichem zu verwandeln. »Laßt ihn frei!« bellte der alte Mann, und dieses Mal war keine Spur von Schwäche aus seiner Stimme herauszuhören.
    Radu Fortuna blinzelte, als wäre er geschlagen worden. Er machte eine klägliche Geste zum Henker, der neben O'Rourke an dem Pfahl stand. Das lange Messer schnitt die Fesseln durch, die den Priester festhielten.
    O'Rourke nahm die Augenbinde ab, rieb sich die Handgelenke und sah sie an. »Kate, ich werde nicht ...«
    »Halt den Mund, Mike«, sagte sie mit sanfter Stimme. Sonst war nur das Prasseln der Fackeln zu hören. »Geh einfach.«
    »Aber ich ...«
    »Geh einfach, Liebling.« Sie nickte zu der Treppe und den Stufen, die vom Schloß hinabführten. »Geh den Weg hinab ... am Hubschrauber vorbei, ja? Am Hubschrauber vorbei und zu der Kurve, die wir von hier aus sehen können. Wenn du dort bist, nimmst du eine Fackel und winkst damit, damit wir sehen können, daß du unversehrt bist. Dann werde ich ihnen das Baby zurückgeben.«
    »So soll es sein«, sagte Radu Fortuna auf englisch und auf rumänisch.
    O'Rourke zögerte nur einen Augenblick. Er nickte und stieg wortlos von der Opferstelle, ging um den Tisch mit den Pokalen herum und schritt zwischen den Strigoi dahin. Er hinkte, hatte seine Prothese aber eindeutig noch. Die dichte Menge bildete eine Gasse für ihn, eine der Wachen spie aus, als er vorüberging, aber niemand hielt ihn auf.
    Kate lehnte sich noch weiter hinaus und hielt das Baby an die Seite. Sollte sich jemand auf sie stürzen, würde er sie beide hinunterstoßen. Joshua fing leise an zu weinen und packte mit den pummeligen Händchen den Stoff ihres Pullovers. Er plapperte Silben, und Kate war sicher, daß sie ›Mommy‹ gehört hatte.
    »Geben Sie uns das Kind, dann lassen wir Sie auch gehen«, sagte Radu Fortuna aalglatt und streckte die Arme aus.
    Kate suchte nach Vernor Deacon Trent, aber das alte Gesicht war nicht mehr in der Menge zu sehen. »Sie werden mich nicht gehen lassen«, sagte Kate müde.
    »Der Teufel soll dich holen, Weib!« explodierte Fortuna. »Selbstverständlich werden wir Sie nicht gehen lassen! Ebensowenig wie den verfluchten Priester. Selbst wenn er diesen Berg verläßt, werden wir ihn finden, ihn zurückbringen und sein elendes Blut trinken! Und jetzt geben Sie mir das Kind!«
    Kate hielt Joshua mit schnurgeraden Armen über den Abgrund. Die Schmerzen zerrten an ihren Muskeln und Schultergelenken, aber die Bewegung sorgte dafür, daß Fortuna mitten in seinem Wortschwall verstummte.
    Sie konnte die Uhr sehen. 00:25. Sie schloß die Augen.
     
    Das weiße Licht kam überraschend. Der Lärm war höllisch laut.
    Der Bell-Jet-Range-Hubschrauber passierte gerade den Westturm und schien den Ostturm zu streifen; der Suchscheinwerfer war eingeschaltet und blendete die Strigoi ebenso wie Kate. Der Helikopter bremste, schwebte seitwärts, als wollte er in der Mitte der Strigoi-Menge landen, und scheuchte die Versammlung zur gegenüberliegenden Wand zurück, während der Wind der Rotoren sie mit Staub, Sand und Geröll überschüttete, das von der Terrasse aufgewirbelt wurde. Die Pokale auf dem langen Tisch wurden fortgeweht, rote und weiße Roben flatterten und Tücher wirbelten in die Luft wie Toilettenpapierfahnen bei Sturmwind.
    Radu Fortuna kreischte einen Fluch, der im unvorstellbaren Lärm der Rotoren unterging. Wachen versuchten, nach vorne zu stürmen, und verloren im
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher