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Kill Whitey

Kill Whitey

Titel: Kill Whitey
Autoren: Ueberreuter
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fahren. Zumindest nicht zusammen. Ohne nachzudenken, drehte ich den Schlüssel und schaltete den Motor aus. Ich bin nicht sicher, weshalb. Vermutlich lag es an einer Mischung aus Angst, Schock und blanker Erschöpfung. Meine Kopfschmerzen setzten wieder ein und pochten im Takt mit meinem Puls. Der Motor stotterte und erstarb. Stille senkte sich herab. Sogar der Donner schien eine Pause einzulegen.
    »Ende der Fahnenstange, du Scheißkerl!«
    Whitey reagierte nicht, rührte sich nicht. Seine Lider blieben geschlossen. Das Blut, das aus seinem Mund geströmt war, begann bereits zu gerinnen.
    »He, Whitey! Wach auf, verdammt noch mal. Wir sind da. Verschlaf mir das bloß nicht.«
    Nichts.
    »Scheiße ...«
    Konnte es sein, dass er endlich tot war, oder handelte es sich lediglich um einen weiteren Täuschungsversuch? Verunsichert gelangte ich zu dem Schluss, dass es nur eine Möglichkeit gab, es herauszufinden. Ich drehte den Zündschlüssel, und der Gabelstapler erwachte stotternd wieder zum Leben. Die Hydraulik quietschte. Der Motor hatte eine Fehlzündung. Die Ketten rasselten.
    Whitey blieb reglos.
    Leblos.
    Meine Schultern sackten herab. Alle Kraft entwich aus meinem Körper, und Müdigkeit sickerte in meine Glieder. Ich schloss die Augen. Regen strömte mir übers Gesicht. Ich fühlte mich meines Sieges beraubt, um meine Rache betrogen. Ich dachte an Darryl und Yul und daran, wie sie gestorben waren; an Jesse, dessen Leiche wohl irgendwo in einem Straßengraben lag; an die unschuldigen Polizisten, die abgeschlachtet worden waren, und an das Gemetzel im Holzbetrieb. Ich erinnerte mich an Webster, an sein klägliches Miauen während des Schusswechsels in meiner Wohnung. Und mehr als an alles andere dachte ich an Sondra. An das, was sie durchgemacht hatte. Ihr Leben. Das Grauen, mit dem sie konfrontiert worden war, nur um auf der Suche nach einem Traum in unser Land zu kommen; einem Traum, der zertrampelt, auf den gespuckt worden war.
    So viel Grausamkeit. So viel sinnloser Tod. Alles wegen eines Mannes.
    Wegen des Mannes am Ende meines Gabelstaplers.
    Zakhar Putin alias Whitey Putin.
    Nun war er tot, und ich empfand nichts. Keine Befriedigung, keinen Frieden. Sein Ableben spendete mir keinen Trost, keine Freude, kein Hochgefühl, kein Empfinden von Gerechtigkeit oder Sieg. Alles, was ich verspürte, war verbitterter Ärger darüber, dass er gestorben war, bevor ich die Gelegenheit erhielt, es zu genießen. Dass seine Seele – sofern er überhaupt eine besaß – mir unbemerkt entwischt war. Ich hatte ihn so leiden lassen wollen, wie er andere leiden gelassen hatte. So, wie Rasputin gelitten hatte.
    Ich schlug die Augen auf, hob den Kopf, starrte auf den vom Regen durchnässten Leichnam, der von den Gabeln baumelte, und gelangte zu dem Schluss, dass er wahrscheinlich doch gelitten hatte. Vielleicht sogar mehr als jeder andere. Jedenfalls hatte er eindeutig Schmerz empfunden. Falls dem zuvor noch nie so gewesen war, hatte ich zumindest das geändert. Jetzt wusste er bestens über Schmerzen Bescheid, kannte sie in- und auswendig. Ich hatte ihm alles darüber beigebracht – und über Verlust.
    Sondra und das Baby waren in Sicherheit. Wir brauchten nicht mehr zu fliehen. Das war das Wichtigste. Es war alles, das zählte.
    Der Donner setzte wieder ein, diesmal jedoch leiser. Der Sturm verzog sich, verlor an Gewalt. Allerdings setzte dafür ein neues Geräusch ein – Polizeisirenen. Die Bullen wussten, wo wir waren. Ich griff in der Absicht nach dem Schlüssel, den Motor abzuschalten und mich zu stellen, wenn sie eintrafen, doch meine Hand erstarrte mitten in der Luft.
    Whiteys Augen klappten wieder auf. Er starrte mich an, dann blinzelte er den Regen weg, als wolle er beweisen, dass er noch lebte. Vielleicht war es ein letzter Akt des Trotzes. Sein Blick wanderte in die Richtung der heulenden Sirenen, dann kehrte er langsam zu mir zurück. Er zuckte mit den Armen, legte die Hände auf die Gabeln und umfasste sie mit festem Griff. Seine Knöchel traten weiß hervor, seine Sehnen spannten sich. Während er mich weiter anstarrte, begann er, sich näher zu mir zu schieben. Er versuchte nicht mehr zu fliehen, sondern mich zu erreichen.
    »Whitey«, sagte ich, »du warst ein böser, böser Junge.«
    Die Hydraulik surrte, als ich die Hebel bediente. Whiteys Augen weiteten sich. Zitternd umklammerte er die Gabeln und schüttelte verleugnend den Kopf.
    Ich starrte ihm nach wie vor in die Augen, als ich die Gabeln auseinander
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