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Kill for Fun: Gnadenlose Geschichten (German Edition)

Kill for Fun: Gnadenlose Geschichten (German Edition)

Titel: Kill for Fun: Gnadenlose Geschichten (German Edition)
Autoren: Richard Laymon
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abhauen.
    Das schaffe ich nie.
    Durch ihren verschwommenen Blick schien das NOTAUSGANG-Schild immer größer zu werden. Ihre Beine bewegten sich darauf zu, eins nach dem anderen. Ihre Oberschenkel steckten in Hosenbeinen, die noch vor wenigen Sekunden strahlend weiß gewesen waren. Weiß und trocken. Nun waren sie tiefrot, durchnässt und klebrig.
    Vor ihrem geistigen Auge sah Sharon den hemdlosen Killer, wie er hinter ihr aus dem Büro der Anwaltskanzlei Hammond and Sons torkelte, sein Gewehr in ihre Richtung schwenkte und den Abzug durchdrückte. Der Knall hörte sich in ihrem Kopf an wie echt. Ihr Rücken platzte auf, Bluse, Hautstücke und Blut flogen in Fetzen und Spritzern durch die Luft, zumindest in ihrer Fantasie. Sharon malte sich aus, wie sie von der Wucht der Kugel nach vorne geschleudert und von den Füßen gerissen wurde. Hart auf den Boden knallte.
    Warum tut er das? Ich kenne ihn ja noch nicht mal!
    Sharon rannte, so schnell sie konnte, bog in vollem Lauf ab, schob die tief sitzende Metallstange mit der Hüfte nach unten, um die Verriegelung zu öffnen, und stieß die Tür zum Treppenhaus mit der Schulter auf. Auf der anderen Seite hielt sie sich reaktionsschnell am Geländer fest und rettete sich so vor einem Sturz.
    Sie spähte über ihre Schulter. Die Tür hatte sich bereits wieder geschlossen und verstellte ihr den Blick in den Flur.
    Ob er wohl kommt?, fragte sie sich.
    Da kannst du sicher sein.
    Sie hetzte die Treppe hinunter, nahm in schnellem Tempo eine Stufe nach der anderen und hielt ihre Hand dabei immer dicht am Geländer, für den Fall, dass sie ins Stolpern geriet. Die Holzstufen knackten und knarrten unter jedem ihrer Schritte.
    Sharon wünschte sich, dass sie nicht so viel Lärm machten, aber es spielte vermutlich ohnehin keine Rolle.
    Er weiß, wohin ich gelaufen bin.
    Während sie über die Treppe floh, erlebte sie eine Art Déjà-vu. Sie hatte in einem Film oder einer Fernsehserie mal eine Frau in derselben Situation erlebt. Oder vielmehr in Dutzenden. Und sie hatte ähnliche Szenen in Romanen gelesen.
    Die cleveren Mädchen versuchten oft, den Bösen auszutricksen, indem sie die Treppe nach oben statt nach unten liefen.
    Dafür ist es ein bisschen zu spät.
    Ich hätte das sowieso nicht gemacht, dachte sie.
    Halt dich nicht mit irgendwelchen cleveren Tricks auf, wenn dein Leben auf dem Spiel steht.
    Sharon wurde plötzlich bewusst, dass sie auf den Stufen über ihr niemanden hörte. Übertönten ihre eigenen Schritte die des Verfolgers?
    Sie wagte es nicht, anzuhalten, um ihre Theorie auf die Probe zu stellen.
    Er könnte den Fahrstuhl genommen haben und unten auf mich warten.
    Vielleicht sollte sie doch einen Trick versuchen – den Trick, das Treppenhaus vor dem Erdgeschoss zu verlassen.
    Sie hatte ihre Flucht im vierten Stock begonnen, den dritten und zweiten bereits hinter sich gelassen und hastete nun dem Durchgang zum ersten Stock entgegen.
    Sie blieb stehen.
    Kein Geräusch, niemand, der donnernd die Stufen herunterstapfte.
    Er kommt nicht . Nicht hier entlang.
    Es sei denn, er war sehr leise.
    Leise zu sein brachte ihm jedoch nichts. Er musste Sharon einholen und erschießen. Je schneller, desto besser.
    Er ist nicht im Treppenhaus, vermutete sie. Dann hat er wahrscheinlich wirklich vor, mich im Erdgeschoss abzufangen.
    Sie drehte sich um und stieg keuchend zu der Tür hinauf, auf der eine 2 prangte, um sie zu öffnen.
    Der Korridor der zweiten Etage sah genauso aus wie in der vierten.
    Außer, dass da oben nun wohl blutige Fußspuren auf dem Boden prangten und rot verschmierte Flecken am Notausgang …
    Blut.
    Sharon ließ die Tür los. Während sie langsam zufiel, starrte sie nach unten. Sie hatte mit ihrer rechten Hand einen Blutfleck an der Metallstange hinterlassen. Außerdem musste sie mit dem Knie dagegengestoßen sein, denn da gab es noch einen rot verschmierten Fleck.
    Ein paar Tropfen verteilten sich um ihre Füße auf dem Boden.
    Ich lege eine Spur für ihn!
    Ihre Kehle schnürte sich zusammen. Sie stand kurz davor, in Tränen auszubrechen, als ihr bewusst wurde, wie sehr sie sich darauf verlassen hatte, ein Versteck zu finden. Ein leeres Büro, einen Wandschrank, eine Toilette … abzutauchen und darauf zu warten, dass der Killer die Suche nach ihr aufgab. Darauf zu warten, dass Polizei oder Feuerwehr eintraf.
    Er wird einfach dem Blut folgen.
    Aber wenn er das Blut nicht mehr sieht …
    Zitternd knöpfte sie ihre Bluse auf, streifte sie ab und ließ sie fallen.
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