Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kill for Fun: Gnadenlose Geschichten (German Edition)

Kill for Fun: Gnadenlose Geschichten (German Edition)

Titel: Kill for Fun: Gnadenlose Geschichten (German Edition)
Autoren: Richard Laymon
Vom Netzwerk:
trug sie den Mantel immer, wenn Harold sie zum Essen oder ins Theater ausführte. Manchmal, wenn der abendliche Anlass sie nicht dazu zwang, den Mantel auszuziehen, trug sie nur Strapse darunter – was Harold fast in den Wahnsinn trieb.
    In diesem Mantel fühlte Janet sich stets als etwas Besonderes. Zum einen, weil Harold dafür ein halbes Vermögen ausgegeben hatte, wie sie annahm. Zum anderen, weil der Mantel so rein und schön aussah, sich so sanft und weich auf ihrer Haut anfühlte. Doch hauptsächlich, weil er ihre Ehe verändert hatte. Der Mantel rief nicht nur unbändige Lust hervor, sondern auch Zärtlichkeit, Lachen, gänzlich neue Überraschungen und Abenteuer.
    In der ersten Nacht nach Harolds Unfall hatte sie den Mantel mit zu Bett genommen. Sie hatte in den seidigen Pelz geweint und war mit ihm in den Armen eingeschlafen.
    Bald jedoch konnte auch der Mantel ihr keinen Trost mehr spenden und erinnerte sie nur noch an ihren Verlust. Sie konnte es nicht mehr ertragen, ihn anzusehen oder zu berühren, geschweige denn, ihn zu tragen.
    Und so hatte sie ihn in den Schrank gehängt. Und ihn dort gelassen.
    Für mehr als zwei Jahre.
    Bis zu dem Tag, an dem sie ihr volles braunes Haar vor dem Schminktischspiegel gebürstet und den Silberfaden erblickt hatte.
    Ihr erstes graues Haar.
    Aber ich bin doch erst 36! Das ist doch noch nicht alt!
    Alt genug, um grau zu werden.
    Da entschied sie, ihr Leben neu zu ordnen.
    Sie rief beim Barkley-Theater an und reservierte einen Platz für die Cats- Aufführung am Samstagabend. Dann nahm sie den Hermelinmantel aus dem Schrank.
    Bei Bullocks kaufte sie ein elegantes schwarzes Abendkleid für den Anlass.
    Am Tag der Aufführung ging sie in den Schönheitssalon. Sie hatte darüber nachgedacht, ihr Haar tönen zu lassen. Doch sie mochte ihre natürliche Farbe. Zudem schien ihr der Gedanke feige, das graue Haar zu übertünchen. Es war besser, es anzunehmen, sich der Erkenntnis zu stellen, dass ihr Leben weiterging, und das Beste aus jedem kommenden Tag zu machen.
    Sie ließ ihr Haar sehr kurz schneiden. Sie sah frech damit aus. Und um einiges jünger.
    An jenem Abend stand sie ausgehbereit vor dem mannshohen Spiegel in der Diele und betrachtete sich eine Weile.
    Das glatte, tief ausgeschnittene Kleid war brandneu. Der Hermelin sah brandneu aus. Und Janet fühlte sich brandneu.
    Könnte Harold mich nur sehen, dachte sie.
    Ihre Augen füllten sich mit Tränen.
    Sie musste ihren Lidstrich erneuern, bevor sie aus dem Haus ging.
    Die Fahrt nach Hollywood dauerte eine halbe Stunde. Um nicht nach einer freien Stelle am Bürgersteig suchen zu müssen, ließ sie ihren Mercedes auf einem hell beleuchteten Parkplatz vier Blocks vom Theater entfernt stehen.
    Kälte lauerte im Herbstwind. Janet fühlte sich geborgen in ihrem Pelzmantel.
    Sie holte ihr Ticket an der Kasse ab. In der Wärme des Foyers zog sie den Mantel aus und drapierte ihn über einen Arm. Auf ihrem Platz legte sie ihn gefaltet auf den Schoß. Während des Stückes streichelte sie ihn. Fast so, als hätte sie eine Katze auf dem Schoß. Doch nie hatte eine Katze ein so herrliches, weiches Fell gehabt.
    Sie nutzte die Pause nicht. Stattdessen stand sie vor ihrem Sitz und sah sich um. Natürlich erblickte sie keine vertrauten Gesichter. Doch sie bemerkte einige Frauen in Pelz. Die meisten trugen Stolen und keine Mäntel, wie es schien. Die meisten der Frauen, die Pelz trugen, waren beträchtlich älter als Janet. Die meisten waren tatsächlich sehr alt.
    War sie im gesamten Theater die einzige Person unter sechzig, die einen Pelz trug?
    Es sah ganz so aus. War das schon immer so gewesen?
    Janet glaubte nicht.
    Konnten die Dinge sich in so kurzer Zeit so stark verändert haben? In weniger als drei Jahren?
    Vielleicht ist das wegen dieser Tierschutzfanatiker, dachte sie. Hatten sie eine ganze Generation davon abgebracht, Pelz zu tragen? Sah ganz so aus. Irgendetwas war passiert.
    Falls nicht die schlechte Wirtschaftslage daran schuld war und die meisten sich diesen Luxus einfach nicht leisten konnten …
    Die Lichter gingen aus.
    Janet setzte sich hin.
    Am Ende der Aufführung weinte und klatschte sie. Dann trocknete sie ihre Tränen, drückte den Mantel an ihren Bauch und betrat den Seitengang.
    Auf ihrem Weg ins Foyer war sie sich eines gewissen Stolzes bewusst.
    Hierherzukommen war so ein großer Schritt gewesen. Sie hatte sich ganz alleine vorbereitet und war ins Theater gegangen. Und die Darbietung hatte sie genossen.
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher