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Ketzer

Ketzer

Titel: Ketzer
Autoren: Stephanie Parris
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meisten zu, die ich über mich ergehen lassen musste«, warf der Palatin ein. »Nun, Sir Philip, dann werden wir uns eben zu zweit die Zeit vertreiben. Sollen wir uns gegenseitig vorlesen? Ich werde mehr Wein kommen lassen.«
    Sidney warf mir einen um Hilfe flehenden Blick zu, als ich an ihm vorbeiging, doch ich zwinkerte nur und schloss die Tür hinter mir. Er war von uns beiden der professionelle Diplomat und dazu erzogen, mit Leuten wie Laski umzugehen. Ein lauter Donnerschlag ertönte, gerade als ich die üppig mit Malereien verzierte Treppe zu meiner Kammer emporstieg.
    Lange Zeit studierte ich dort jedoch weder meine Unterlagen, noch versuchte ich, meine Gedanken zu ordnen, sondern lag nur auf dem Bett. Mir ging vieles durch den Kopf, während ich den Himmel betrachtete, der jetzt eine grünliche Färbung angenommen hatte. Blitz und Donner kamen immer näher, der Regen trommelte gegen das Glas und auf die Dachziegel, und ich fragte mich, warum die freudige Erregung, die ich noch am Morgen empfunden hatte, einer merkwürdigen inneren Unruhe gewichen war. Meine Zukunft in England, von der Zukunft meiner Arbeit ganz zu schweigen, hing in hohem Maße vom Ausgang dieser Reise nach Oxford ab, trotzdem wuchs mein Unbehagen ständig. In all den Jahren ohne Wurzeln, während derer ich mich allein auf meinen Überlebensinstinkt verlassen hatte, hatte ich gelernt, auf meine innere Stimme zu hören. Wenn ich Gefahr gewittert hatte, hatte mir der Lauf der Ereignisse für
gewöhnlich recht gegeben. Aber vielleicht rührte mein ungutes Gefühl auch nur daher, dass ich zum wiederholten Mal im Begriff stand, mir eine neue Maske anzulegen, mich in jemanden zu verwandeln, der ich nicht war.
     
    Ich war noch keine ganze Woche in London gewesen – mein Gönner König Henri, der mir nur widerstrebend die Erlaubnis erteilt hatte, Paris zu verlassen, hatte mich beim französischen Botschafter untergebracht – als mich Königin Elisabeths Staatssekretär Sir Francis Walsingham zu sich rufen ließ. Es war nicht die Art von Einladung, die man ablehnte, obwohl ich keine Ahnung hatte, was ein so bedeutender Staatsmann von mir wollte. Am nächsten Tag ritt ich also zu seinem Herrenhaus in der florierenden Seething Lane in der Nähe des Towers im Osten Londons und wurde von einem gehetzt dreinblickenden Haushofmeister durch das Haus in einen gepflegten Garten geführt. Hinter einer Reihe geometrisch gestutzter Buchsbäume erstreckte sich eine Rasenfläche, dahinter standen einige Obstbäume in voller Blüte. Sie bildeten ein prachtvolles Kronendach in Weiß und Rosarot, unter dem eine hochgewachsene, schwarz gekleidete Gestalt zu den ineinander verschlungenen Ästen aufblickte.
    Auf das Nicken des Haushofmeisters hin trat ich auf den Mann zu, der sich umgedreht hatte, um mich anzusehen – das glaubte ich zumindest, denn im Schein der Nachmittagssonne konnte ich nur seine dunkle Silhouette erkennen. Ich blieb ein paar Schritte von ihm entfernt stehen und verneigte mich tief.
    »Giordano Bruno aus Nola, zu Euren Diensten.«
    »Buona sera, Signor Bruno, e benvenuto, benvenuto «, sagte er warm, dabei streckte er seine rechte Hand aus, um nach englischer Manier die meine zu schütteln. Sein Italienisch war nur schwach mit dem harten Akzent seiner Muttersprache behaftet, und als er näher kam, konnte ich sein Gesicht erstmals deutlich sehen: Es war lang geschnitten und wirkte durch die eng anliegende
schwarze Kappe, die sein schütteres Haar bedeckte, noch ernster. Ich schätzte ihn auf ungefähr fünfzig Jahre. In seinen Augen leuchtete eine wache Intelligenz, die verriet, dass er um sich herum keine Dummköpfe duldete. Zugleich wirkte er zutiefst erschöpft, wie ein Mann, der eine schwere Last zu tragen hatte und zu wenig Schlaf bekam.
    »Vor vierzehn Tagen erhielt ich einen Brief unseres Botschafters in Paris, der mich von Eurer Abreise nach London in Kenntnis setzte«, begann er ohne Einleitung. »Ihr seid am französischen Hof gut bekannt. Unser Botschafter sagt, er kann Eure Religion nicht empfehlen. Was meint er Eurer Meinung nach wohl damit?«
    »Vielleicht bezieht er sich darauf, dass ich früher Mitglied eines heiligen Ordens war – oder darauf, dass ich es nicht mehr bin«, erwiderte ich vorsichtig.
    »Oder er meint etwas ganz anderes.« Walsingham musterte mich forschend. »Aber dazu kommen wir später. Sagt mir zunächst, was Ihr über mich wisst, Filippo Bruno.«
    Mein Kopf fuhr mit einem Ruck zu ihm herum. Er hatte mich
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