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Kein zurueck mehr

Kein zurueck mehr

Titel: Kein zurueck mehr
Autoren: Swati Avasthi
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dann noch einmal inne. »Jace, ich könnte nie wieder mit einem Gewalttätigen zusammenleben. Ich hab zu lange versucht, einem zu entkommen.«
    »Ja, ich weiß.«
    »Aber da du so was ja nicht noch mal machen wirst … da du sozusagen ein Ex-Gewalttätiger bist … habe ich einen Fehler gemacht, als ich dich rausgeschmissen habe. Ich habe dich mit Dad über einen Kamm geschoren. Ich will damit sagen, du könntest bei mir landen.« Er wartet ab, als sei es eine Frage, und ich antworte nicht. »Also, wenn du willst, ich bin da, okay?«
    Ich nicke, und kurz bevor er geht, rufe ich ihm zu: »Hey, Christian? Vielleicht könnte ich zu Thanksgiving rüberkommen und dir was Anständiges zu essen kochen?«
    »Jace«, sagt er. »Thanksgiving war gestern.«
    Ich spüre, wie sich meine Kehle zuschnürt, aber ich ignoriere es. »Na ja, dann eben unser eigenes Thanksgiving. Das Thanksgiving für verkorkste Existenzen. Vielleicht nächste Woche?«
    »Was steht denn auf dem Menü?«
    »Keine Truthähne mehr«, sage ich.
    Seine Miene hellt sich auf. »Wie wäre es mit Pizza? Könntest du uns so was machen? Ich liebe Pizza.«
    »Wirklich?«, frage ich.
    Es gibt so viel, was wir nicht übereinander wissen.

Kapitel 31
    Mirriam ist drüben bei Christian und ich bin endlich allein. Drei lange Ferientage hier. Ich habe genug davon, herumzuhängen, Fernsehen zu gucken und Mirriams Ich-bin-hier-wenn-du-mich-brauchst-Beistand auszuweichen. Jeden Morgen fragt sie mich, wie es mir geht, ob ich reden will, und wenn ich nicht darauf reagiere, sagt sie, ich solle ihr morgen antworten.
    Wenn sie weg ist, lege ich mich auf ihr Bett und gucke Filme im Fernsehen. Mitten in einem zweiten Film gehe ich in die Küche, um etwas Popkorn zu machen. Als die Mikrowelle piept, kommt Mirriam zurück.
    »Ich dachte, du bleibst über Nacht bei Christian«, sage ich. »Ich hätte nichts dagegen oder so.«
    »Nein, Christian muss zur Arbeit.« Sie reicht mir einen Brief. »Er wollte, dass ich dir das hier gebe.«
    Er wohnt keine fünf Meter von mir entfernt und schickt mir Briefe? Das kann kein gutes Zeichen sein. Ich strecke die Hand danach aus.
    »Er ist von deiner Mutter«, sagt Mirriam.
    Meine Hand verharrt für einen Moment in der Luft.
    »Er ist an euch beide adressiert. Christian hat ihn schon gelesen.«
    Ich nehme ihr den Brief ab, lege ihn auf die Anrichte und starre sie an, bis sie weggeht. Und schon beginnt sie wieder, die Achterbahnfahrt: Ist sie in Ordnung? Ist er kurz davor, sie umzubringen? Versucht sie zu fliehen?
    Aber ich öffne den Brief nicht, weil ich die Antworten auf all diese Fragen schon kenne. Ich ertrage es nicht, ihre Gründe zu lesen, warum sie sich nicht selbst rettet, warum sie ihn uns vorzieht. Keine Ausreden mehr. Ich werfe den Brief in den Mülleimer unter der Spüle, erinnere mich, dass er auch an Christian adressiert war, und fische ihn wieder heraus.
    Nach ein paar Minuten kommt Mirriam zurück in die Küche. Sie hat ihren Bademantel an, ihr Haar ist zu einem Zopf gebunden, ihr Gesicht hat diesen Gerade-gewaschen-Look: seltsam blass, bis auf ihre Wangen. Sie hat zwei Flaschen Nagellack in der Hand – einmal weiß und einmal klar – und setzt sich an den Tisch. Sie wirft einen Blick auf den leeren Platz auf der Anrichte, wo der Brief gelegen hat.
    »Ich will nicht darüber reden.«
    Sie malt einen Halbmond weißer Farbe auf die Spitze eines Nagels und geht zum nächsten über.
    »Jace, ich weiß, du hast das schon mal abgeschmettert, aber wie wäre es, wenn du dir professionelle Hilfe holen würdest?«
    »Ich soll zu einem Seelenklempner gehen? Ja klar, ich schwimme ja im Geld.«
    Sie sieht auf, als sie meinen Tonfall wahrnimmt, was mir seltsamerweise vorkommt wie ein Sieg.
    »Ich dachte eigentlich an den Schulpsychologen.«
    »Ach, und was soll ich dem deiner Meinung nach erzählen? Dass meine Mom bei dem Mann geblieben ist, der sie schlägt? Dass sie nicht zu ihren Kindern kommen wollte, die so oft Prügel für sie eingesteckt haben? Was für einen Unterschied würde das machen, Mirriam? Ich meine, wirklich? Würde meine Mom plötzlich auf wundersame Weise ihre Meinung ändern, wenn ich mit einem Schulpsychologen spreche?« Ich halte inne. Ich nehme einen tiefen Atemzug und noch einen, bis ich sprechen kann und nicht nur brüllen. »Es hat keinen Zweck, über sie zu reden. Es hat keinen Zweck, mit ihr zu reden. Sie hat ihre Entscheidung getroffen und es gibt nichts, was ich daran ändern kann.«
    Mirriam wendet sich wieder
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