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Kein Schatten ohne Licht

Kein Schatten ohne Licht

Titel: Kein Schatten ohne Licht
Autoren: Michelle Guenter
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bereiten, sie leiden zu sehen. Oder auch nicht. Denn Jane wirkte so abwesend, mit ihren Gedanken so weit entfernt, dass sie mit Sicherheit gar nicht bemerkte, wie ungeduldig Melica doch war. Als Jane endlich zu sprechen begann, hatte Melica den Zustand eines nervösen Wracks erreicht. „Du kennst seine Geschichte, oder?“
    „ Wessen Geschichte? Luzius?“, fragte Melica. „Nein! Woher denn auch?“
    „ Warum haben Frank und ich dich überhaupt zur Schule geschickt?“, erwiderte Jane genervt. „Du weißt ja überhaupt nichts!“
    „ An dem Tag, an dem wir gelernt haben, dass der Teufel wirklich existiert, muss ich wohl krank gewesen sein.“
    Jane nickte, wie immer vollkommen humorlos. „So wird es wohl sein. Doch nun gut. Luzius hielt zusammen mit dir und Tizian noch eine dritte Person in dem Hotel fest. Es war ein kleiner Junge, vielleicht bist du ihm irgendwann begeg-“
    Ein kurzer Schmerz durchzuckte Melicas Körper, gefolgt von einer Woge der Scham. Der kleine Junge... Sie hatte ihn vollkommen vergessen! „Was ist aus ihm geworden? Er lebt doch noch, oder?“, unterbrach sie Jane besorgt.
    Jane warf ihr einen kurzen Blick zu. „In dem Fall scheinst du tatsächlich etwas richtig gemacht zu haben. Zumindest hast du Luzius genügend beschäftigt. Er ist nicht dazu gekommen, Liam zu töten.“
    Melica vermochte es nicht, das Ausmaß ihrer Erleichterung in Worte zu fassen. Sie wollte es auch gar nicht, schließlich hätte ihre Mutter sie niemals verstehen können. Sie seufzte leise. „Warum wollte Luzius Liam überhaupt umbringen?“
    „ Das wollte ich dir gerade mitteilen, bevor du mir ins Wort gefallen bist“, zischte Jane angesäuert. „Liam ist der Nachfahre Kains. Der Name s agt dir doch hoffentlich etwas?“
    „ Die Geschichte von Kain und Abel“, flüsterte Melica verdutzt. „Die beiden Söhne von Adam und Eva. Ja. Die Erzählung kenne ich.“
    „ Ehrlich?“ Ihre Mutter klang überrascht. „Dann erzähl mir doch einmal, was du zu wissen meinst.“
    „ Kain hat seinen Bruder Abel erschlagen, weil Gott Abels Opfergaben besser gefallen haben als Kains“, begann Melica. „Damit wurde Kain zum ersten Mörder in der Menschheitsgeschichte. G ott verstieß ihn daraufhin. Er versprach ihm jedoch Schutz und verlieh ihm das Kainsmal.“
    „ Du hast recht. So hat sich die Geschichte zugetragen. Doch mit Kains Verstoßung ist sie noch nicht zu Ende. Sie geht noch viel weiter“, erwiderte Jane und blickte sie nachdenklich an. „Nachdem Kain das geweihte Land verlassen musste, traf er in einem fremden Dorf auf seine Frau. Er blieb, gründete eine Familie. Doch Kain hat nichts aus der Geschichte gelernt. Er trank viel, war neidisch und jähzornig. Und eifersüchtig. Was ihm letzten Endes auch zum Verhängnis wurde, denn an einem Abend schlug er sich mit einem Mann, der Kains Frau angeblich etwas zu lange angesehen hatte. Der Mann, Ruben hieß er, wehrte sich. Kain stürzte und brach sich das Genick. Ruben war schuld, doch es hatte sich nur um Notwehr gehandelt. So konnte Gott sein Verspre chen, er würde jeden töten, der Kain schadete, nicht halten. Stattdessen bestrafte er Ruben auf eine andere, weniger schlimme Weise. Er und sechs seiner näheren Verwandten verwandelten sich in Wesen, die Menschen ermorden mussten, um selbst überleben zu können. Deshalb, Melica, ist Kain so wichtig für die Dämonen. Er ist Grund für ihre Existenz.“
    „ Wow.“ Damit hatte sie nicht g erechnet. „Das ist... echt wow. Ich hätte nicht gedacht, dass unsere Geschichte so weit zurückgeht. Trotzdem... ich verstehe noch immer nicht, was Luzius mit dieser Sache zu tun haben soll.“
    „ Luzius war Rubens Verwandter. Genau genommen war er sein Cousin. Ein Priester, der sein ganzes Leben auf Gott ausgerichtet hatte. Als Kain starb und Luzius sich in ein gottloses Wesen wie einen Dämon verwandelte, war sein ganzes Leben zerstört. Doch er konnte sich nicht umbringen, schließlich war Suizid schon damals mehr als nur verpönt. Er flehte zu Gott, ihn zu erlösen, doch Gott half nicht. Weshalb es eigentlich kein Wunder war, dass Luzius bald das Vertrauen in ihn verlor und böse wurde. Er tat alles, um Gottes Missfallen auf sich zu ziehen, brach Regeln und zog mordend und schlachtend durch die Dörfer. Solange, bis er schließlich von Gott in die Hölle verbannt wurde.“ Mit einem Mal hörte Jane auf zu sprechen. Sie wurde ganz still, blickte Melica an und sah doch gleichzeitig an ihr vorbei. „Sein Leben im
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