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Kein Land für alte Männer

Kein Land für alte Männer

Titel: Kein Land für alte Männer
Autoren: Cormac McCarthy
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stellte es zum Trocknen auf das Abtropfgestell und blickte zum Fenster hinaus auf den kleinen, unkrautüberwucherten Garten. Ein verwittertes Räucherhaus. Ein auf Betonblöcken aufgebockter Pferdetransporter aus Aluminium. Du hast doch mal Hühner gehabt, sagte er.
Ja, sagte der Alte.
Bell trocknete sich die Hände, kam zum Tisch zurück und setzte sich. Er sah seinen Onkel an. Hast du jemals was getan, über das du dich so geschämt hast, dass du es keinem Menschen erzählen würdest?
Sein Onkel dachte darüber nach. Ich würd sagen, ja, sagte er. Ich würd sagen, das hat praktisch jeder. Was hast du über mich rausgekriegt?
Ich meine es ernst.
In Ordnung.
Ich meine was Schlimmes.
Wie schlimm?
Ich weiß nicht. So, dass du es nicht mehr losgeworden bist.
Zum Beispiel was, wofür man ins Gefängnis kommen könnte?
Ja, so was könnt’s natürlich auch sein. Muss es aber nicht unbedingt.
Da müsst ich drüber nachdenken.
Ach was, müsstest du nicht.
Was ist denn in dich gefahren? Ich werd dich nicht mehr einladen.
Diesmal hast du mich doch auch nicht eingeladen.
Auch wieder wahr.
Bell hatte die Ellbogen auf den Tisch gestützt und die Hände ineinander verschränkt. Sein Onkel musterte ihn. Ich hoffe, du willst hier nicht irgendein schreckliches Geständnis ablegen, sagte er. Vielleicht will ich das nicht hören.
Willst du’s nun hören oder nicht?
Ja. Nur zu.
In Ordnung.
Es ist doch nichts Sexuelles, oder?
Nein.
In Ordnung. Dann leg mal los und erzähl.
Es geht um einen Kriegshelden.
In Ordnung. Meinst du damit dich?
Ja. Damit mein ich mich.
Leg los.
Ich versuch’s ja. Ich erzähl dir jetzt, was wirklich passiert ist. Was mir die Auszeichnung eingebracht hat.
Nur zu.
Wir waren in einer vorgeschobenen Position und haben Funksignale abgehört, und wir hatten uns in einem Bauernhaus verkrochen. Ein einfaches Steinhaus mit zwei Zimmern. Wir waren schon zwei Tage da, und es hat ununterbrochen geregnet. Geregnet, als wollt’s gar nicht mehr aufhören. Irgendwann am zweiten Tag hat der Funker seine Kopfhörer abgenommen und gesagt: Hört mal. Und das haben wir gemacht. Wenn jemand hört mal sagt, dann macht man das. Und wir haben nichts gehört. Und ich hab gesagt: Was ist denn? Und er hat gesagt: Nichts.
Ich hab gesagt, was zum Teufel soll das heißen, nichts? Was hast du denn gehört? Und er hat gesagt: Ich mein, man kann nichts hören. Hört doch mal. Und er hat recht gehabt. Es war kein Laut zu hören. Kein Geschütz und kein gar nichts. Nur den Regen hat man gehört. Und das war so ungefähr das Letzte, woran ich mich erinnern kann. Als ich aufgewacht bin, hab ich draußen im Regen gelegen, und wie lang ich da schon gelegen hatte, weiß ich nicht. Ich war durchnässt und hab gefroren, mir haben die Ohren geklingelt, und als ich mich schließlich aufgerichtet und nach dem Haus gesehen hab, da war es weg. Nur an einem Ende stand noch ein Rest Mauer, das war alles. Eine Mörsergranate war durch die Wand gekommen und hatte alles weggeblasen. Tja, und ich hab nichts mehr gehört. Weder den Regen noch sonst was. Wenn ich was gesagt hab, hab ich’s in meinem Kopf gehört, aber sonst nicht. Ich hab mich hochgerappelt und bin zu der Stelle rübergegangen, wo das Haus gestanden hatte, und überall haben Teile vom Dach rumgelegen, und ich hab einen von unseren Leuten gesehen, der war zwischen Steinen und Balken eingeklemmt, und ich hab versucht, einiges von dem Zeug wegzuräumen, um vielleicht an ihn ranzukommen. Mein Kopf hat sich komplett taub angefühlt. Und während ich das getan hab, hab ich mich irgendwann aufgerichtet und rausgeguckt, und da sind diese deutschen Soldaten übers Feld gekommen. Die hatten in einem Stück Wald ungefähr zweihundert Meter weit weg gelegen, und nun sind sie über dieses Feld gekommen. Ich hab immer noch nicht genau gewusst, was eigentlich passiert war. Ich war völlig benommen. Ich hab mich hinter die Mauer geduckt, und das Erste, was ich gesehen hab, war Wallace’ .30-Kalibriges, das unter irgendwelchen Balken rausstand. Das Ding war luftgekühlt, und die Patronen sind mit einem Gurt zugeführt worden, der in einer Metallkiste gelagert war, und ich hab mir gedacht, wenn ich sie noch ein bisschen näher rankommen lasse, dann könnt ich sie mir da draußen im offenen Gelände vornehmen, und Artillerieunterstützung würden sie dann keine mehr anfordern, weil sie zu nah dran wären. Ich hab rumgebuddelt und das Ding schließlich samt Dreibein freigekriegt, und dann hab ich weitergegraben und
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