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Kein König von Geburt

Kein König von Geburt

Titel: Kein König von Geburt
Autoren: Julian May
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Turm der Glasburg hockte, Essais de sciences maudites las und Strega aus einem venezianischen Kelch von höchst anstößiger Form trank.
    »Große Königin!« rief er und beeilte sich, das Buch mit dem Gesicht nach unten hinzulegen. Unglücklicherweise ließ sich wegen des Kelchs nichts dergleichen unternehmen.
    Ihr Gesicht war blaß, aber ihr Geist, nur teilweise abgeschirmt, schien vor heftigen Emotionen zu brennen. »Entschuldige, daß ich dich störe. Ich wäre nicht in deinen Privatraum eingedrungen, ginge es nicht um Leben und Tod.«
    »Was immer ich tun kann ...« Er brach ab vor ihrem Blick. »Hat er dir etwas angetan? Hat er dich verletzt?« entrüstete sich der dicke Psychokinetiker ungeachtet seiner sonstigen Schüchternheit. Er eilte zu Mercy, legte den Arm um sie und führte sie zu einem Sessel, der in der kühlen Meeresbrise stand.
    »Er hat nur getan, was er für gewöhnlich tut«, antwortete sie dunkel. »Aber bevor diese Nacht vorbei ist, werde ich Rache gefunden haben. Wenn du mir hilfst, Sullivan-Tonn.«
    »Ich helfe dir«, erklärte er.
    »Deine Psychokinese ... kannst du jedes Schloß öffnen?«
    »Selbstverständlich!«
    »Auch das besondere Schloß, das er an den Lagergewölben unter der Burg angebracht hat?«
    Sullivans Augen quollen aus den Höhlen. »Doch nicht die geheimen Räume, wo die Milieu-Waffen und -Geräte aufbewahrt sind ...«
    »Doch. Kannst du es?« Sie zügelte ihre Koerzierung und die ungeheuerlichen psychokreativen Kräfte, die Materie und Energie nach ihrem Willen formen konnten, um ihn nicht zu verängstigen. Das Schloß war eine komplizierte Sache, die ihren eigenen Manipulationen widerstanden hatte, und gesichert gegen psychoenergetische Strahlungen. Sullivan mit seinem großen PK-Talent war ihre einzige Hoffnung, die hochentwickelten Waffen auf eine Weise unschädlich zu machen, die Aiken erst entdecken würde, wenn es zu spät war ...
    »Ich ... ich kann es nur versuchen, Lady Kreatorin.«
    Sie sprang auf die Füße, und ihr grünes Gazegewand mit den silbernen Säumen wogte wie Brandungsschaum. »Versuche es, der Rache wegen, Sullivan! Ich weiß, du haßt ihn ebenso sehr wie ich. Aber bald, vielleicht im Morgengrauen, wird er den vollen Lohn für seine Betrügereien erhalten! Jetzt müssen wir uns beeilen, solange er noch schläft, nachdem er sich an mir verlustiert hat.« Sie ergriff seine feuchte Hand und drückte sie. Ihre Augen flammten. Dann rief sie: »Folge mir!« und rannte auch schon die Wendeltreppe hinunter.
    Er folgte ihr eilends. Die Lederpantoffeln klatschten auf die matten Glasfliesen, die kirschfarbene Robe flatterte hinter ihm her, das rötliche Haar stand ihm aus schierem Entsetzen zu Berge. In der Burg war es ganz still. Sie stürzten durch ein offenes Atrium, wo Windspiele klingelten und ein kleiner Springbrunnen sprudelte und die große weiße Pyrenäenhündin Deirdre aufsprang, um ihre Herren zu begrüßen, was bei Sullivan fast einen Herzanfall hervorrief.
    »Platz, Deirdre!« zischte Mercy, und das Tier verschwand wieder in den Schatten.
    Sie hetzten widerhallende Gänge hinunter, die nur von den Feenlichterketten der Innenbeleuchtung erhellt waren. Der Vollmond hoch am Himmel schimmerte unheimlich durch die Buntglasscheiben des Korridordachs und breitete Tümpel in geisterhaftem Lavendelblau, Rosa und Bernstein unter ihren Füßen aus. Da und dort duckten sich kleine Ramas mit Staubwedeln und Mops ängstlich vor ihnen. Der einzige Mensch, den sie sahen, war ein grauer Wachtposten mittleren Alters. Er stand stocksteif vor dem Audienzsaal und hielt mit der unermüdlichen Ausdauer des vorprogrammierten Ringträgers ein Vitredur-Schwert vor sein Gesicht.
    Endlich erreichten sie das große Foyer des königlichen Flügels mit den brennenden Öllampen und der Wendeltreppe. Mercy zeigte Sullivan die unauffällige Bronzetür an der Innenwand, »öffne sie, ohne daß eine Spur zurückbleibt!«
    Er konzentrierte seine PK mit zusammengepreßten Lippen und gerunzelter Stirn. Ein gedämpftes Ping war zu hören. Die Tür glitt zur Seite. Eine lange Steintreppe führte in die unter ihnen gähnende Schwärze.
    »Das war gar nicht so schwer.« Sullivan brachte ein schiefes Lächeln zustande.
    »Das eigentliche Schloß ist unten. Schnell, Mann! Er könnte aufwachen und merken, daß ich nicht da bin.«
    Sie beschwor eine Feuerkugel herauf. Rutschend und gleitend ging es die unregelmäßig behauenen Stufen hinunter. Jezt war es hier nicht mehr glitschig, aber die
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