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Kein Erbarmen

Kein Erbarmen

Titel: Kein Erbarmen
Autoren: Gerold , Haenel
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zurückzurufen, und den Brief erst aufs Bett legen wollen, aber dann die Putzfrau auf dem Gang gehört – und den Umschlag in die Innentasche seiner Jacke geschoben, die er immer noch über der Schulter gehabt hatte. Und das war’s. Zehn Minuten später hatte er sich nicht mehr daran erinnert, es war ein Automatismus gewesen, der in seinem Gehirn nicht abgespeichert worden war. Und er hatte den Brief die ganze Zeit mit sich herumgeschleppt, ohne es zu wissen …

28 ½
    Tabori schob seinen Stuhl so heftig zurück, dass er zu Boden stürzte. Margarethe schreckte aus ihrem Traum hoch und fing an zu kläffen.
    »Ich muss kurz mal an die Luft«, sagte Tabori, ohne Lepcke Zeit für eine Erwiderung zu lassen. Er rannte fast, mit wenigen Schritten war er an der Tür, noch auf der Treppe riss er den Umschlag auf und zog den in der Mitte gefalteten Zettel heraus, eine linierte Seite aus einem Ringbuch, die beiden Löcher waren ausgerissen, auch die wenigen Zeilen wirkten, als wären sie in großer Eile geschrieben:
    Ich habe Angst. Bitte helfen Sie mir! Ich kann nicht im Hotel bleiben, jemand verfolgt mich. Ich bin um fünf auf dem Parkplatz oben auf der Klippe. Sie müssen kommen, ich muss mit Ihnen reden. Bitte!!!
    Taboris Hand zitterte. Ein plötzlicher Windstoß riss ihm den Zettel aus den Fingern und wehte ihn quer über den Kiesweg. Für einen Moment blieb er an der Bank hängen, auf der Güngör und Janin immer noch mit dem Rücken zu Tabori saßen. Ein neuer Windstoß wirbelte ihn hoch und trug ihn über die Dünen davon. Eine Möwe kam kreischend im Sturzflug heran und drehte wieder ab, als sie die Sinnlosigkeit ihres Angriffs erkannte. Die Sonne näherte sich langsam dem Horizont, ihre Farbe hatte zu einem warmen Goldgelb gewechselt.
    Sie konnte nicht wissen, dass ich gleich nach ihr die Terrasseverlassen würde, dachte Tabori, sie wollte mir genug Zeit lassen, damit ich den Brief auch wirklich finde, deshalb sollte ich erst um fünf auf der Klippe sein …
    Sein Handy klingelte. Das Display zeigte Lisas Nummer an. Das Netz reichte gerade so eben, auch wenn Lisas Stimme sich zwischendurch immer wieder in weiter Ferne zu verlieren schien.
    »Wieso höre ich nichts von dir? Was ist los? Wo bist du überhaupt? Ist alles in Ordnung?«
    »Sorry, dass ich mich nicht gemeldet habe. Tut mir, aber … das ist eine längere Geschichte, es ist kompliziert, aber wir haben den Täter.«
    »Wir?«
    Plötzlich war die Verbindung ganz klar, als würde Lisa direkt neben ihm stehen. Tabori meinte sogar, die Hunde im Hintergrund bellen zu hören.
    »Lepcke ist bei mir, wir sind wieder in Dänemark. Ich erzähle dir alles, wenn ich zurück bin. Morgen. Nur dass du beruhigt bist: Es war dieser Damaschke, die Anwärterinnen hatten nichts damit zu tun, oder nicht wirklich jedenfalls. – Und bei dir?«
    »So weit okay. Aber wir haben die Leiche noch nicht, obwohl sie mit ziemlicher Sicherheit irgendwo in dem Teich sein wird. Rinty hat einmal was gemeldet, aber das Wasser ist zu trübe, die Taucher sehen nichts. Wir mussten abbrechen, weil die Hunde nicht mehr konnten. Morgen früh machen wir weiter.«
    »Ich werde so gegen Nachmittag wieder da sein, spätestens am frühen Abend. Wir bleiben für die Nacht hier im Hotel, Lepcke auch.«
    »Zwei Sachen noch schnell: Da war ein Anruf für dich, eine Frau. Sie hat gesagt, dass sie Markus’ Schwester wäre. Wusstest du, dass er eine Schwester hat?!«
    »Ja, aber …«
    »Sie hat darum gebeten, dass du sie zurückrufst. Aber ich hab ihr auch deine Handynummer gegeben, vielleicht meldet sie sich also, nur dass du Bescheid weißt.«
    »Und die zweite Sache?«
    »Ich habe gerade Nachrichten im Radio gehört. Es ist schon letzte Nacht passiert, aber sie haben es jetzt erst gebracht. Obwohl die Gerüchteküche bei deinen Ex-Kollegen heute Nachmittag schon ziemlich am Brodeln war, aber jetzt scheint es offiziell zu sein: Heinisch ist heute Morgen gegen fünf erwischt worden, wie er mit seinem Dienstwagen über eine rote Ampel gefahren ist, in der Nähe vom Puffviertel. Merkwürdigerweise war wohl sofort ein Streifenwagen da, und auch gleich noch ein paar Journalisten. Sie haben Heinisch pusten lassen, er hatte über 1,5 Promille! Es muss vorhin so was wie eine Pressekonferenz gegeben haben, er hat gesagt, er würde selbstverständlich die Konsequenzen tragen. Ich schätze mal, dass er zurücktritt. – He, bist du noch da? Hast du alles mitgekriegt?«
    »Lass uns morgen reden«, sagte Tabori,
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