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Kein Erbarmen

Kein Erbarmen

Titel: Kein Erbarmen
Autoren: Gerold , Haenel
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einem Gesamtbild gefügt, aber dennoch waren Lücken geblieben, die ihn oftmals auch dann nicht zur Ruhe hatten kommen lassen, wenn der Fall längst abgeschlossen war. Und hier sollte es jetzt wohl der Brief der Anwärterin bleiben, der Tabori überhaupt erst in den Fall verwickelt hatte und dessen Inhalt nach wie vor unklar war, dessen Verschwinden aber dann womöglich die Verkettung der Ereignisse in Gang gesetzt hatte, die Tabori noch lange beschäftigen würden.
    Ganz deutlich hatte er wieder das Bild vor Augen, wie er zurück in sein Zimmer gekommen war und irritiert das Fehlen des Briefes registrierte, von dem er sich immer noch sicher war, ihn ungeöffnet aufs Bett gelegt zu haben, bevor er zu Elsbet nach unten an den Festapparat ging.
    Es hatte den Brief gegeben, und es musste irgendeinen Grund dafür gegeben haben, dass die Anwärterin ihn unter seiner Zimmertür hindurchgeschoben und direkt danach ausgecheckt hatte … Natürlich, dachte er plötzlich, nicht nur Damaschke hat Anna gesehen, als er kurz auf der Kaffeeterrasse auftauchte, sondern sie ihn ebenso! Und sie hat Panik gekriegt, sie hat geglaubt, dass keine Zeit mehr war, um mich anzusprechen – denn das wollte sie, da bin ich mir sicher –, aber sie hat nicht mehr klar denken können, sie hat ausgecheckt und ist regelrecht geflohen. Und ein paar Stunden später hat Damaschke sie dann auf der Klippe erwischt. Was wollte sie da oben? Und warum ist sie vorher noch in demMohair-Laden gewesen und hat sich einen neuen Pullover gekauft?
    Margarethe winselte im Schlaf und drehte sich auf den Rücken, das eine Vorderbein starr in die Luft gestreckt.
    Warum habe ich Elsbets altem Dackel den Kopf abgetrennt, um ihn ihr als Beweis zu präsentieren, dass er tot war und sie ihn nicht länger suchen sollte? Warum halten Familienväter mitten im St. Gotthard-Tunnel ihr Auto an, um ein Picknick zu machen? Es gibt Handlungen, die sich jeder rationalen Erklärung entziehen, dachte Tabori. Leute tun so etwas, Übersprungshandlungen, um eine Situation zu bewältigen, die das Gehirn nicht verarbeiten kann …
    Lepcke kam über den Kiesweg. Man sah ihm die Erschöpfung an, er zog die Schultern nach vorne wie ein alter Mann, das Jackett, das er über dem Arm trug, war verknittert, sein Hemd war verschwitzt und bis über die Brust aufgeknöpft, die Krawatte hatte er abgenommen und in die Hosentasche gesteckt. Das Schulterhalfter musste er im Auto gelassen haben, um nicht unnötig aufzufallen.
    Tabori klopfte an die Scheibe und winkte. Wir haben Fehler gemacht, dachte er, während Lepcke die Stufen zum Restaurant hoch kam, Fehler, die uns nicht passiert wären, wenn wir noch zusammenarbeiten würden. Es war gar nicht der Polizeiapparat, der mir gefehlt hat, es war die Zusammenarbeit mit Lepcke, wir haben uns zu lange nicht vertraut, stattdessen hat jeder von uns versucht, den Fall auf seine Weise zu lösen, das war die denkbar schlechteste Ausgangssituation, die wir haben konnten.
    Lepcke nickte Elsbet zu und setzte sich. Als Elsbet neuen Kaffee und eine Tasse für Lepcke brachte, hatte er sich bereitswortlos Taboris Teller hinübergezogen und machte sich über den Kuchen her.
    »Wir haben am Anfang viel Mist gebaut«, eröffnete er zwischen zwei Bissen das Gespräch. »Wäre nicht unbedingt nötig gewesen. Tut mir leid, aber du warst auch nicht ganz unschuldig daran.«
    »So was Ähnliches habe ich gerade selber gedacht.«
    »Aber wir haben den Fall gelöst«, grinste Lepcke, um gleich darauf hinzuzusetzen: »Ach so, das weißt du ja noch gar nicht, die dänischen Kollegen haben Damaschke erstmal mit nach Ålborg genommen. Sie stecken ihn heute Nacht bei sich in die Arrestzelle, wir können ihn dann morgen auf dem Rückweg mitnehmen. Kleine Amtshilfe sozusagen, aber eher inoffiziell, ich glaube, sie hatten keine Lust auf den ganzen Papierkram und machen drei Kreuze, wenn sie uns wieder los sind. Damaschke wird allerdings noch eine Anzeige kriegen, wegen dem Einbruch in das Ferienhaus.«
    »Das dürfte das geringste Problem sein, das er hat.«
    »Sehe ich auch so. – Haben mir gut gefallen, die Kollegen, nicht solche Sesselfurzer wie bei uns. Übrigens Vater und Sohn, wusstest du das?«
    Tabori nickte.
    »Und der Hund?«, fragte er dann. »Was habt ihr mit Damaschkes Hund gemacht?«
    »In den Dünen vergraben, das schien mir das Einfachste zu sein. Oder wärst du gerne mit einem toten Schäferhund im Kofferraum nach Hause gefahren?«
    Tabori blickte unwillkürlich auf
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