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Kay Scarpetta bittet zu Tisch

Kay Scarpetta bittet zu Tisch

Titel: Kay Scarpetta bittet zu Tisch
Autoren: Patricia Cornwell
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Weilchen länger als sie.«
    »Ich glaube, Lucy kann ganz gut selbst auf sich aufpassen«, entgegnete Scarpetta.

2
    Lucys Atem ging in eisigen Zügen, während sie in Windsor Farms die Sulgrave Road entlanglief. Das Geräusch ihrer Nikes dröhnte über das Pflaster, und sie geriet ins Schwitzen. Weder die Laternen im Kolonialstil noch die erleuchteten Fenster konnten ihr die Dunkelheit erhellen und den Weg weisen. Sie kannte die Strecke noch aus High-School - Zeiten. Damals hatte sie die Ferien häufig bei ihrer Tante verbracht. Nach vier Meilen ging Lucy in ein meditatives Stadium über, und ihr Geist konnte sich auf alles konzentrieren, was er wollte. Was nicht zwangsläufig etwas Gutes verhieß.
    Obwohl sie ausgesprochen gut gelaunt war, war sie nicht in Höchstform. Ihrer Mutter, die sie nicht wirklich großgezogen und aus Weihnachten nie mehr als einen leeren, schlaff über dem Herd hängenden Strumpf gemacht hatte, war sie, wie immer während der Festtage, aus dem Weg gegangen. Lucy verschärfte das Tempo. Der Unmut heizte sie auf, ließ ihr den Schweiß unter dem Pullover rinnen und trieb sie tiefer in die schwarzen Schatten der Bäume, die dort schon vor dem Bürgerkrieg gestanden hatten. Mutter hatte ihr zu Weihnachten wieder einmal ein Kopftuch geschickt, dieses Mal in Marineblau und mit Fransen, und wieder mit ihrem Monogramm in einer Ecke.
    Die Monogramme machten es Lucy schwer, die Tücher an Secondhandläden oder die Heilsarmee zu geben, und das war natürlich von ihrer Mutter beabsichtigt. Ihre Mutter wählte die Geschenke immer im Hinblick auf sich selbst aus, sie waren eine Art Kontrollmechanismus. Sie legte keinen Wert darauf, was Lucy sich wünschte oder was für ein Mensch sie war, und mit Tüchern war Lucy bereits bis an ihr Lebensende eingedeckt. Sie hatte auch keinen Bedarf an Notizbüchern oder Kosmetiktäschchen, ebensowenig wie an vornehmen Uhren mit e lastischem Armband. Sie war bei der Bundespolizei, schoß mit Pistolen und der MP 5 und flog Hubschrauber. Sie lief Hindernisrennen, hob Gewichte, bearbeitete Fälle von Brandstiftung, nahm Leute fest und sagte vor Gericht aus.
    Dorothy, ihre Mutter, war so anders als deren Schwester Kay, daß Lucy manchmal nicht glauben konnte, daß sie von ein und denselben Eltern abstammten. Sicher, Dorothy besaß einen überdurchschnittlich hohen IQ, verfügte jedoch weder über gesunden Menschenverstand noch über Urteils-vermögen. Sie vermochte weder sich noch andere zu lieben, so sehr sie sich auch bemühte, die Leute zu täuschen.
    Nie würde Lucy ihre Abschlußfeier an der Polizeiakademie in Glynco, Georgia, vergessen. Tante Kay und Marino waren dabeigewesen. Lucys Mutter hatte sich ebenfalls auf den Weg dorthin gemacht, war aber auf halber Strecke umgekehrt und nach Miami zurückgerast, nachdem sie sich mit ihrem damaligen Liebhaber am Autotelephon gestritten hatte.
    Lucy schlug nun eine Geschwindigkeit von sieben Minuten die Meile an und näherte sich mit Riesenschritten wieder dem Haus ihrer Tante. Es ärgerte sie, daß Scarpetta am nächsten Morgen nach Miami fliegen wollte, um ihre Mutter und Dorothy zu besuchen. Scarpetta würde erst am Wochenende zurückkommen, was bedeutete, daß Lucy den Jahreswechsel allein verbringen würde. Vielleicht konnte sie in dieser Zeit ja einige ihrer Fälle aufarbeiten.
    »Und du willst wirklich nicht mitkommen? Noch ist es nicht zu spät«, sagte Scarpetta, als Lucy außer Atem und mit geröteten Wangen in die Küche kam.
    »O doch, es ist zu spät«, erwiderte Lucy und streifte sich ihre Wollfäustlinge von den Händen.
    »Probier mal. Vielleicht noch ein bißchen Basilikum?« Scarpetta tunkte den Holzlöffel in ihre Spezialsauce und hielt ihn ihrer Nichte zum Probieren hin. Lucy blies in die dampfende
    Sauce, hielt ihre Lippen daran, um sich - als habe sie alle Zeit der Welt - den Geschmack einer ganzen Symphonie auf ihrer Zunge zergehen zu lassen. Dann öffnete sie eine Flasche Evian.
    »Ich würde nichts mehr drantun«, sagte sie nachdenklich. Ihre Melancholie hatte zugenommen, als sie ins Haus gekommen war und ihr Blick auf die gepackten Koffer ihrer Tante fiel. Scarpetta hatte offensichtlich gepackt, während sie gejoggt hatte.
    »Es ist nicht zu spät«, meinte Scarpetta, die genau wußte, wie ihrer Nichte zumute war. »Du hast noch eine ganze Woche frei. Ich mache mir Sorgen um dich, wenn du allein bist. Das Haus kann eine furchtbare Leere ausstrahlen. Ich weiß, wovon ich rede.«
    »Ich bin doch
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