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Katzenkrieg

Katzenkrieg

Titel: Katzenkrieg
Autoren: E Mendoza
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Narren und Zwergen, die für den Schmuck der königlichen Gemächer bestimmt war. Dass jemand einen großen Künstler mit den Porträts dieser Elendsgestalten beauftragen konnte und diese Bilder nachher zu prominenten Dekorationsstücken machte, mag heutzutage im Gegensatz zu damals schockieren, aber entscheidend ist letztlich, dass diese königliche Grille so umwerfende Werke hervorbrachte.
    Anders als seine Kollegen aus der Sammlung hatte der Mann mit dem Spitznamen Don Juan de Austria keine feste Anstellung bei Hofe. Er war ein Teilzeitnarr, von Mal zu Mal engagiert, um eine vorübergehende Absenz auszufüllen oder die aus Kranken, Idioten und Geistesgestörten bestehende Belegschaft zu verstärken, die den König und seine Gefolgschaft unterhielt. In den Archiven ist sein richtiger Name nicht erhalten, nur sein ausgefallener Spitzname. Ihn dem größten Soldaten der kaiserlichen Armeen und dem natürlichen Sohn Karls V. gleichzusetzen gehörte offenbar mit zum Witz. Um seinem Namen Ehre zu erweisen, hat der Narr auf dem Bild zu seinen Füßen eine Arkebuse, einen Brustpanzer, einen Helm und einige Kugeln, vielleicht Geschosse für eine kleinkalibrige Kanone; seine Kleidung ist königlich, er hält einen Amtsstab in der Hand und trägt auf dem Kopf einen übermäßig großen, leicht gebeulten Hut mit auffälligem Helmbusch. Diese Prachtgewänder verhüllen die Wirklichkeit nicht, sondern betonen sie erst recht – sogleich bemerkt man einen lächerlichen Schnauzbart und eine gerunzelte Stirn, die ihn einige Jahrhunderte zum voraus ein wenig Nietzsche ähnlich sehen lassen. Der Narr ist nicht mehr jung. Er hat kräftige Hände, aber dünne Beinchen, die auf einen zerbrechlichen Körperbau hindeuten. Das Gesicht ist äußerst hager, die Wangenknochen hervorstehend, der Blick ausweichend, misstrauisch. Um den Spott noch zu vergrößern, erkennt man hinter der Figur auf der einen Seite des Bildes eine Seeschlacht beziehungsweise ihre Folgen: ein Schiff in Flammen, eine schwarze Rauchsäule. Der echte Don Juan de Austria hatte das spanische Geschwader in der Schlacht von Lepanto gegen die Türken befehligt, in den Worten Cervantes’ der größten Heldentat, die die Jahrhunderte erlebten. Die Schlacht auf dem Bild ist nicht klar, es kann ein Stück Wirklichkeit, eine Allegorie, eine Nachahmung oder ein Traum des Narren sein. Sie soll satirisch wirken, dem Engländer jedoch trüben sich die Augen beim Betrachten einer Schlacht, die mit einer Technik dargestellt ist, welche aller Malerei ihrer Zeit voraus ist und die Turner zum selben Zweck anwandte.
    Mit einiger Mühe gewinnt Anthony seine Gelassenheit zurück und schaut abermals auf die Uhr. Er hat nicht weit zu gehen, muss sich aber auf den Weg machen, wenn er so pünktlich sein will, wie man es sicherlich von ihm erwartet, nicht aus Tugend oder Höflichkeit, sondern als pittoresken Zug seiner Nationalität – die sprichwörtliche englische Pünktlichkeit. Da ihn niemand sieht, verabschiedet er sich mit einem Kopfnicken von dem Hofnarren, macht kehrt und verlässt das Museum, ohne den großen Werken an den Wänden weiter Beachtung zu schenken.
    Wieder auf der Straße, stellt er zu seiner Überraschung fest, dass die durch das Bild ausgelöste melancholische Nachdenklichkeit seine Niedergeschlagenheit nicht verstärkt, sondern beseitigt hat. Zum ersten Mal seit seiner Ankunft ist er sich wirklich bewusst, dass er in Madrid ist, einer Stadt, die ihm angenehme Erinnerungen zuträgt und ein erregendes Freiheitsgefühl verschafft.
    Anthony Whitelands hat Madrid immer gefallen. Im Gegensatz zu so vielen anderen spanischen und europäischen Städten geht diese weder auf die Griechen noch auf die Römer, auch nicht auf das Mittelalter zurück, sondern auf die Renaissance. Philipp II. erschuf sie aus dem Nichts und errichtete hier 1561 seinen Hof. Aus diesem Grund hat Madrid keine auf eine dunkle Gottheit zurückgehenden Gründungsmythen, und auch keine römische Jungfrau nimmt es unter ihrem geschnitzten Holzumhang auf, noch wirft eine erhabene Kathedrale ihren spitzen Schatten in die Altstadt. Auf Madrids Wappen wirft sich kein abgehärteter Drachentöter in die Brust; sein Schutzpatron ist ein einfacher Bauer, zu dessen Gedenken Volksfeste und Stierkämpfe organisiert werden. Um das natürliche Geschenk seiner Unabhängigkeit zu bewahren, baute Philipp II. den Escorial und hielt so die Versuchung von Madrid fern, nicht nur zu einem Brennpunkt der Macht, sondern auch der
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