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Katzenkrieg

Katzenkrieg

Titel: Katzenkrieg
Autoren: E Mendoza
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nach dem Grund Ihrer Reise fragen? Natürlich aus rein persönlichem Interesse. Sie brauchen nicht zu antworten.»
    «Macht gar nichts. Ich bin Kunstexperte, insbesondere für spanische Malerei. Ich kaufe und verkaufe nicht, sondern schreibe Artikel, unterrichte und arbeite ab und zu mit Galerien zusammen. Wenn immer ich kann, fahre ich nach Madrid, auch ohne besonderen Anlass. Der Prado ist meine zweite Heimat. Vielleicht sogar meine erste. Nirgendwo bin ich glücklicher gewesen.»
    «Sieh an, scheint ein schöner Beruf zu sein. Das hätte ich nie gedacht», bemerkte der Polizist. «Und davon können Sie leben, wenn die Frage nicht indiskret ist?»
    «Nicht besonders gut», räumte der Engländer ein, «aber ich beziehe eine kleine Rente.»
    «Glückspilze gibt’s», sagte der Polizist mehr zu sich selbst. Dann fügte er hinzu: «Wenn Sie so oft nach Spanien kommen und unsere Sprache so gut sprechen, haben Sie hier vermutlich viele Freunde.»
    «Richtige Freunde nicht. Ich bin nie lange genug in Madrid gewesen, und wir Engländer sind ein zurückhaltendes Völkchen, wie Sie wissen.»
    «Dann muss Ihnen meine Fragerei ja sehr auf die Nerven gehen. Nehmen Sie es mir nicht übel, es ist eine Berufskrankheit. Ich beobachte die Menschen und versuche, Ihren Beruf, Ihren Zivilstand, ja selbst ihre Absichten herauszufinden. Meine Arbeit besteht im Vorbeugen, nicht im Unterdrücken. Ich gehöre dem staatlichen Sicherheitsdienst an, und die Zeiten sind unruhig. Ich meine natürlich nicht Sie – sich für jemanden zu interessieren heißt nicht, ihn zu verdächtigen. Aber hinter dem gewöhnlichsten Menschen kann sich ein Anarchist, ein Agent im Dienst einer fremden Macht, ein Mädchenhändler befinden. Wie soll man sie von rechtschaffenen Menschen unterscheiden? Niemandem stehen die Personalien auf der Stirn geschrieben. Und doch verbergen alle ein Geheimnis. Zum Beispiel auch Sie – wozu die Eile, einen Brief einzuwerfen, den Sie in einigen Stunden seelenruhig in Madrid hätten einwerfen können? Sie brauchen mir nichts zu sagen, sicherlich hat alles eine ganz einfache Erklärung. Ich wollte Ihnen nur ein Beispiel nennen. Das ist meine Mission, nicht mehr und nicht weniger: hinter der Maske das wahre Gesicht zu entdecken.»
    «Es ist kalt hier», sagte der Engländer nach einer Pause, «und ich bin nicht warm genug angezogen. Wenn Sie nichts dagegen haben, suche ich mir ein Abteil, das ein wenig geheizt ist.»
    «Oh, selbstverständlich, ich will Sie nicht länger aufhalten. Ich werde in den Speisewagen gehen, um etwas zu trinken und ein wenig mit dem Personal zu plaudern. Ich befahre diese Strecke oft und kenne die Leute. Ein Kellner ist eine wertvolle Informationsquelle, vor allem in einem Land, wo mehr geschrien als gesprochen wird. Ich wünsche Ihnen eine gute Reise und einen glücklichen Aufenthalt in Madrid. Sicherlich sehen wir uns nicht wieder, aber ich gebe Ihnen meine Karte, man weiß nie. Oberstleutnant Gumersindo Marranón, zu dienen. Falls Sie was brauchen, fragen Sie bei der Obersten Polizeidirektion nach mir.»
    «Anthony Whitelands», sagte der Engländer, während er die Karte in die Jacketttasche steckte, «ebenfalls zu Ihren Diensten.»

2
    Obwohl er nach der langen Reise todmüde ist, schläft Anthony Whitelands nur oberflächlich und wird mehrmals von fernem Lärm geweckt, der nach Gewehrschüssen klingt. Er hat sich in einem einfachen, aber gemütlichen Hotel eingemietet, das er von früheren Reisen her kennt. Die Halle ist klein und nicht sehr gastlich, und der Empfangschef benimmt sich flegelhaft, aber die Heizung funktioniert, und das Zimmer, zwar klein, aber mit hoher Decke, verfügt über einen ziemlich großen Kleiderschrank, ein bequemes, sauber bezogenes Bett und einen Pinienholztisch mit Stuhl und arbeitstauglicher Lampe. Das rechteckige Fenster mit seinen Holzläden geht auf die abgeschiedene Plaza del Ángel hinaus, und über den Giebeln der gegenüberliegenden Häuser erkennt man die Kuppel der San-Sebastián-Kirche.
    Dennoch ist die Atmosphäre unbehaglich. Wegen der Kälte hat der Lärm der Madrider Nacht dem düsteren Heulen des unerbittlichen Windes aus der Sierra Platz gemacht, der das Laub und die Papierfetzen auf dem schwarzen, rauhreifglänzenden Boden aufwirbelt. Die Fassaden sind mit zerrissenen schmutzigen Wahlplakaten und Handzetteln verschiedenster Couleur vollgeklebt, die jedoch allesamt zu Streik, Aufstand und Konfrontation aufrufen. Anthony kennt die Lage nicht nur, sondern
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