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Kastner, Erich

Kastner, Erich

Titel: Kastner, Erich
Autoren: Die verschwundene Miniatur
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Achtel.
    »Oder glaubst du, daß es Leute von der Konkurrenz sind? Das wäre natürlich noch viel scharmanter.«
    »Glaub ich nicht«, meinte Karsten. »Er rief ihren Vornamen, und da drehte sie sich um. Wie ein Blitz.«
    »Blitze, die sich umdrehen, sind gefährlich«, sagte Philipp Achtel.
    »Was wünschen Sie?« fragte Fräulein Trübner streng. Daß sie erschrocken war, ließ sie sich kaum anmerken. »Und wie kommen Sie dazu, mich beim Vornamen zu rufen?«
    »Was denn? Sie heißen auch Irene?« Der schlanke Herr war perplex. Dann zog er den Hut. »Ich bitte um Vergebung. Aber Sie erinnerten mich in der Gangart unglaublich an eine Cousine aus Leipzig«. Er lächelte gewinnend. »En face sind Sie allerdings hübscher als meine Cousine.«
    »Komisch, daß Ihre Cousine ebenfalls Irene heißt!«
    »Das kann vorkommen«, sagte er. »Ich selber heiße Rudi.« Fräulein Trübner wandte ihm den Rücken und setzte ihren Weg fort.
    »Es ist keine Seltenheit«, bemerkte der Herr, der Rudi hieß, »daß Menschen mit gleichen Vornamen einander ähnlich sehen.«
    Fräulein Trübner lachte spitz. »Ich habe heute bereits hören müssen, daß der Charakter des Familiennamens das Gemüt des Besitzers beeinflußt. Man lernt nicht aus.«
    »So ist es«, sagte der Herr. »Apropos, Familiennamen: ich heiße Struve. Rudi Struve.«
    Sie beschleunigte ihre Schritte.
    Er hielt sich an ihrer Seite. »Eigentlich bin ich froh, daß Sie nicht meine Cousine sind.« – »Warum?«
    »Meine Cousine kenne ich schon«, meinte er tiefsinnig.
    Sie musterte angelegentlich die Schaufenster, an denen sie vorbeikamen.
    »Es ist sonderbar«, begann er wieder, »und es gibt zu denken: ich habe noch niemanden getroffen, der jemand anderer sein möchte.
    Mancher möchte zwar das Geld von Rockefeller haben. Andre möchten wie die Garbo aussehen. Vor allem die Frauen.« Er lachte.
    »Aber kein Mensch möchte mit Haut und Haar ein andrer sein. Keiner! Auch nicht, wenn er einen Buckel hat und im Keller wohnt. Ist das nicht seltsam? Was halten Sie davon?«
    »Nicht das mindeste«, erklärte die junge Dame und machte große Schritte.
    Er wich nicht von ihrer Seite.
    Plötzlich blieb sie stehen, zeigte mit dem Finger selbstvergessen auf ein Schaufenster, sagte: »Da sind sie ja!« und verschwand im Laden. Es war ein Schuhgeschäft.
    Der junge Mann betrachtete längere Zeit die Auslagen. Als er in der spiegelnden Rückwand eines Schaukastens zwei Passanten bemerkte, die auf der andern Straßenseite wartete, trat er in den Laden.
    Fräulein Trübner hockte in einem Klubsessel. Vor ihr kniete eine Verkäuferin und probierte am rechten Fuß der Kundin einen Halbschuh.
    »Zu groß!« behauptete die junge Dame. »In dem Schuh kann ich ja kehrtmachen! Ich brauche die kleinste Nummer.«
    Die Verkäuferin erhob sich aus ihrer Kniebeuge und öffnete einen neuen Karton.
    Auch dieser Schuh war zu groß.
    Die Verkäuferin ging zu einem Regal, erstieg eine Leiter und kam mit einem neuen Karton zurück.
    Fräulein Trübner ließ sich den Schuh anziehen, trat mehrmals fest auf und meinte erstaunt: »Er paßt!«
    »Wie angegossen!« sagte jemand neben ihr.
    Sie blickte hoch. Es war der lästige Mensch, der Rudi hieß.
    Er nickte ihr freundlich zu. »Ich gehe gern mit Frauen einkaufen.
    Es lenkt auf so angenehme Weise von wichtigeren Dingen ab.«
    Die junge Dame fragte die Verkäuferin nach dem Preis. Das Geschäft war perfekt. Sie zog den alten Schuh an und zahlte an der Kasse.
    Die Verkäuferin überreichte inzwischen dem Herrn das Schuhpaket. Er nahm es in Empfang, als sei das ganz selbstverständlich.
    »Wo sind die Schuhe?« fragte Fräulein Trübner, als sie ihr Geld in der Handtasche untergebracht hatte.
    Er hob das Päckchen hoch. »Hier!«
    Die Verkäuferin öffnete die Ladentür.
    »Guten Tag«, sagte er, ließ die junge Dame vorangehen und folgte ihr auf die Straße.
    Sie schritten längere Zeit stumm nebeneinander her. Der junge Mann hatte den Eindruck, daß es falsch sei, eine Unterhaltung vom Zaun zu brechen. Die Vermutung war richtig. Vorm Absalom-Haus am Rathausplatz blieb Fräulein Trübner stehen und sagte: »Darf ich Sie bitten, mir meine Schuhe zu geben?«
    »Selbstverständlich«, erklärte er. »Hier sind die Stiefelchen.« Er überreichte ihr den Karton.
    »Und nun hielte ich’s für angemessen, wenn Sie das Weite suchten.«
    »Wo doch das Gute so nah liegt!« meinte er gebildet.
    »Genug geschwätzt!« sagte sie. »Ich weiß nicht, warum Sie mich
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