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Kastner, Erich

Kastner, Erich

Titel: Kastner, Erich
Autoren: Die verschwundene Miniatur
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KAPITEL
    ABSCHIED VON KOPENHAGEN
    Am kommenden Mittag war Külz als erster am Bahnhof. Er patrouillierte in der Halle auf und ab und hielt nach Fräulein Trübner und nach Herrn Storm Ausschau. Außerdem hatte er jene Art Durst, die man Brand nennt, und wäre gern in die Bahnhofswirtschaft gegangen, um ein Glas Bier zu trinken. Mindestens ein Glas! Doch er traute sich nicht von seinem Posten weg, sondern blockierte die Sperre vom Bahnsteig 4, als schöbe er Wache.
    Am Hauptportal erschien eine größere Gruppe Herren mit Koffern, Plaids und Taschen. Herr Karsten, der mit von der Partie war, sagte: »Da steht ja schon unser Tiroler!«
    Anschließend entfernten sich einige seiner Begleiter und spazierten an Fleischermeister Külz vorüber, durch die Sperre.
    Papa Külz merkte begreiflicherweise nichts von alledem. Er merkte nur, daß Storm und Fräulein Trübner nicht kamen. Das hat mir gerade gefehlt, dachte er. Zum Schluß fahre ich allein nach Berlin! Das hat man von seiner Gutmütigkeit! Was soll ich eigentlich schon zu Hause? Emilie und die Kinder wissen ja, daß ich nicht in Bernau bei Selbmann bin, sondern in Dänemark. Wann mögen sie denn die Karte mit der schönen Hafenansicht gekriegt haben?
    In diesem Moment fiel ihm ein, daß er die Karte gar nicht in den Kasten gesteckt, sondern im Hotel d’Angleterre liegengelassen hatte!
    Ich mach aber auch alles verkehrt, dachte er enttäuscht. Das ist die Verkalkung. Na, ewig kann der Mensch nicht leben.
    Dann unterbrach er abrupt den Denkprozeß. Denn im Portal erschien Fräulein Trübner. Und sie kam nicht allein. Sondern sie schritt zwischen zwei großen, starken Männern einher, die steife schwarze Hüte trugen und auch sonst der Vorstellung entsprachen, die man sich gemeinhin von Kriminalbeamten in Zivil macht.
    Oskar Külz bemühte sich krampfhaft, Fräulein Trübner, der Verabredung gemäß, nicht zu kennen. Das fiel ihm so schwer, daß er sich der Einfachheit halber wegzusehen entschloß. Andrerseits war es nötig, die junge Dame im Auge zu behalten. Denn wie sollte er es sonst einrichten, gleichzeitig mit ihr durch die Sperre zu drängen?
    Er hob seinen Koffer auf, faßte den Stock fester, stellte sich marschbereit und lugte, so unauffällig wie möglich, über die Schulter.
    Das Fräulein verabschiedete sich gerade von den beiden Begleitern mit einem freundlichen Kopfnicken.
    Külz schob sich also breit in die Sperre und setzte, um Zeit zu gewinnen, seinen Koffer nieder. »Einen Augenblick, Herr Schaffner«, sagte er zu dem Schalterbeamten. »Ich muß nur noch mein Billett suchen!« Er wühlte in etlichen Taschen, obwohl er den Fahrschein längst gefunden hatte, und drehte sich flugs um. Na endlich, dachte er. Da kommt sie ja!
    Jetzt stand Fräulein Trübner hinter ihm. Külz reichte dem Beamten das Billett, spürte, wie man ihm ein Päckchen in die andre Hand drückte, griff tapsig zu, nahm den gelochten Fahrschein in Empfang, hob den Koffer hoch, verlor den Spazierstock, bückte sich danach und wand sich endlich aus der Sperre heraus.
    Herr Karsten, der hinter den beiden herkam, unterdrückte mit Mühe ein mephistophelisches Lächeln.
    Auf Bahnsteig 4 war reger Betrieb.
    Külz hatte das heimlich empfangene Päckchen verstaut und den Koffer sorgfältig abgeschlossen. Das Päckchen war zwar leicht gewesen, aber der Koffer war mit einem Male so schwer, als ob er einen Doppelzentner wöge! Külz stapfte den Zug entlang und suchte die Wagen dritter Klasse.
    »Hallo!« rief jemand hinter ihm. Es war Herr Storm.
    »Endlich!« meinte Külz erleichtert. »Ich hatte schon Angst, Sie hätten es verschlafen. Wie geht’s dem Kater?«
    Storm, der noch reichlich grün aussah, winkte ab. Dann bedankte er sich, daß ihn der andere in der Pension Curtius abgeliefert hatte.
    »Ich erfuhr erst heute früh davon.«
    »Gern geschehen, mein Lieber.«
    »Meine Wirtsleute waren gar nicht da, habe ich gehört.«
    »Stimmt. Nur ein alter Herr mit dunkler Brille.«
    »Kenn ich nicht.«
    »Er sagte, daß er erst einen Tag dort wohnt.«
    »Drum.«
    Külz blieb vor einem Abteil dritter Klasse stehen. »Hier ist Platz!«
    Aber Herr Storm wollte nicht. »Ich kann alte Frauen nicht leiden«, murmelte er. Er meinte eine weißhaarige Dame, die am Fenster saß. »Alte Frauen bringen mir Unglück.«
    Sie gingen weiter.
    Plötzlich machte Storm halt, sah zu einem Herrn hoch, der aus einem Coupé herausschaute, und fragte: »Entschuldigen Sie, ist in Ihrem Abteil noch für zwei Personen
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