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Kastner, Erich

Kastner, Erich

Titel: Kastner, Erich
Autoren: Die verschwundene Miniatur
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Oberkörper halbrechts, machte eine ungeschickte Verbeugung und sagte: »Entschuldigen Sie vielmals!«
    Das Fräulein nickte ihm munter zu. »Wieso? Ich bin auch aus Berlin.«
    »Aha!« erwiderte er. »Deshalb sprechen Sie deutsch!« Anschlie
    ßend wurde ihm die bodenlose Tiefsinnigkeit seiner Schlußfolgerung klar. Er schüttelte, ärgerlich über sich selber, den Kopf und stellte sich, da ihm nichts Klügeres einfiel, vor. »Mein Name ist Külz«, sagte er.
    Sie schlug die Hände zusammen. »Sie sind Herr Külz? Nein, das ist lustig! Dann kaufen wir ja unser Fleisch bei Ihnen!«
    »Bei Oskar Külz?«
    »Das weiß ich nicht. Gibt es denn mehrere Külze?«
    »Das kann man wohl sagen.«
    »Am Kaiserdamm.«
    »Das ist Otto, mein Jüngster.«
    »Eine ausgezeichnete Fleischerei«, versicherte sie.
    »Doch, doch. Aber von Leberwurst versteht er nichts. Da sollten Sie mal bei Hugo Leberwurst kaufen! Das ist mein zweiter Junge. In der Schloßstraße in Steglitz. Der macht Leberwurst! Meine Herren!«
    »Ein bißchen weit, wenn man am Kaiserdamm wohnt«, meinte sie. »Trotz seiner Leberwurst.«
    »Dafür hat Hugo nun wieder keine blasse Ahnung von Fleischsalat. Der ist ihm nicht beizubringen!« erklärte Vater Külz streng.
    »So, so«, sagte das Fräulein.
    »Fleischsalat, das ist die Spezialität von Erwin. Dem Mann meiner ältesten Tochter. In der Landsberger Allee. Erwin macht Ihnen eine Mayonnaise – dafür lassen Sie alles andere stehen und liegen, Fräulein!« – »Und wo ist Ihr eigenes Geschäft?« fragte sie eingeschüchtert. Die vielen Fleischermeister begannen ihr langsam über den Kopf zu wachsen.
    »In der Yorckstraße«, sagte er. »Im vorigen Oktober hatte ich das dreißigjährige Jubiläum. Mein Bruder Karl hat’s im nächsten Jahr.
    Im April. Nein, im Mai.«
    »Ihr Herr Bruder ist auch Fleischer?« fragte sie besorgt.
    »Natürlich! Mit drei Schaufenstern! Am Spittelmarkt. Und Arno, mein Ältester, auch. Der hat seinen Laden am Breitenbachplatz. Na, und Georg, mein andrer Schwiegersohn, hat sein Geschäft in der Uhlandstraße. Dabei wollte Hedwig, meine zweite Tochter, alles andre eher heiraten – einen Lehrer oder einen Klavierspieler oder einen Feuerwehrmann, nur keinen Fleischer! Und dann hat sie doch den Georg genommen. Der war bei mir zwei Jahre lang erster Geselle.«
    »Um alles in der Welt!« sagte das Fräulein erschöpft. »Lauter Fleischer! Davon kann man ja träumen!«
    »Es ist Schicksal!« meinte Külz. »Mein Großvater war Fleischer.
    Mein Vater war Fleischer. Mein Schwiegervater war Fleischer. Uns liegt das Wurstmachen gewissermaßen im Blut.«
    »Ein schönes Bild«, behauptete das Fräulein.
    In diesem Augenblick kam der Oberkellner. Er schob einen Rolltisch, behutsam wie einen Kinderwagen für Zwillinge, vor sich her.
    Auf dem Rolltisch befanden sich ein Glas Bier und eine Platte mit Wurst und Braten.
    Wenn ein Fleischermeister beim Anblick einer Wurstplatte erschrickt, muß das besondere Gründe haben.
    Külz erschrak sehr. »Das ist wohl ein Mißverständnis«, sagte er.
    »Ich habe einen kleinen Aufschnitt bestellt, und Sie bringen eine Platte für zwölf Personen!«
    Der Kellner zuckte die Achseln, »Der Herr wollte die dänische Wurst studieren.«
    »Aber doch nicht bis Weihnachten!« knurrte Külz.
    Seine Nachbarin lachte und meinte: »Sie sind ein Opfer Ihres Berufs. Beißen Sie die Zähne zusammen, lieber Herr Külz, und lassen Sie sich’s gut schmecken!«
    Auf dem Kongens Nytorv trippelten Tauben. Blau, grau und silbergrün war ihr Gefieder. Sie nickten eifrig mit den Köpfen. Weswegen sie mit den Köpfen nickten, läßt sich schwer beurteilen. Vielleicht war es nur eine schlechte Angewohnheit? Wenn ein Auto des Weges kam, flogen sie auf. Wie Wolken, die zum Himmel heimkehren.
    Fleischermeister Külz ergriff Messer und Gabel. »Dazu bin ich nun ausgerissen«, murmelte er erschüttert.
    Etliche Reihen weiter hinten, neben dem Hoteleingang, saßen zwei Herren und lasen. Vielleicht hielten sie die Zeitungen auch aus anderen Gründen vors Gesicht. Man hat sich seit Gutenbergs epochaler Erfindung zu sehr daran gewöhnt, anzunehmen, daß alle Leute, die etwas Gedrucktes vors Gesicht halten, tatsächlich lesen.
    Ja, wenn das so wäre!
    Im vorliegenden Falle war es jedenfalls nicht so. Die beiden Herren lasen keineswegs, sondern benutzten die Zeitungen als Versteck.
    Über den Rand der Blätter hinweg beobachteten sie Fleischermeister Külz und das Berliner Fräulein. Der eine der
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