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Kastner, Erich

Kastner, Erich

Titel: Kastner, Erich
Autoren: Die verschwundene Miniatur
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lange untertreten, bis das Paar aus dem Hof herauskommt?«
    »Untertreten?« fragte Karsten. »Es regnet doch gar nicht!«
    Herr Achtel streckte die Hand aus. »Diese Trockenheit!«
    Auf der anderen Straßenseite näherte sich ein großer, schlanker Herr. Er blieb vor dem Gitter stehen, zog einen Reiseführer aus der Tasche, blätterte darin, betrachtete das Schloß und den Hof und ging gemütlich weiter.
    »Ich habe mir folgendes gedacht«, sagte Fräulein Trübner leise.
    »Ich habe mir gedacht, Sie könnten mir helfen.«
    »Mach ich«, meinte Külz. »Ich weiß nur nicht, wie.«
    »Sie fahren morgen mittag mit mir nach Berlin.«
    »Schon?«
    »Ihre Frau wird sich sehr freuen!«
    »Das ist doch kein Grund!«
    »Es gehört aber zu meinem Plan, Herr Külz!«
    »Das ist etwas anderes«, sagte er. »Also schön! Wir reisen morgen mittag. Ich fahre aber dritter Klasse.«
    »Wundervoll!« rief sie. »Und ich fahre zweiter Klasse!«
    »Wieso das wundervoll ist, verstehe ich nicht. Wenn wir nicht im selben Abteil fahren, brauche ich ja gar nicht erst mitzukommen!« Er war beinahe beleidigt.
    Sie beugte sich vor. »Falls man mir die Miniatur stehlen will, und ich zweifle keinen Augenblick daran – dann wird man es während der Fahrt versuchen. Ich reise zweiter Klasse. Man wird mich im Auge behalten. Man wird mir vielleicht den Koffer stehlen.« Sie klatschte in die Hände. Wie ein Kind.
    Er betrachtete sie ängstlich. »Sind Sie übergeschnappt? Freuen sich, daß man Ihnen die Miniatur klaut!«
    »Doch nur die Koffer, Herr Külz!«
    »So. Und die Miniatur ist nicht in Ihren Koffern?«
    »Nein.«
    »Wo ist sie denn?«
    »Im Gepäck eines Herrn, der dritter Klasse fahrt und bei dem die Bande eine Miniatur Anna Boleyns bestimmt nicht vermutet!«
    »Und wer ist der Herr?« fragte er. Dann schlug er sich mit der flachen Hand vor die Stirn. »Ach so!«
    »Jawohl«, sagte sie. »Ich gebe Ihnen morgen am Bahnhof die Miniatur. Und in Berlin geben Sie mir sie zurück.«
    »Donnerwetter!« rief er. »Raffiniert!«
    »Wir gehen, ohne einander zu kennen, durch die Sperre. Und ich drücke Ihnen heimlich ein Päckchen in die Hand. Niemand wird etwas merken. Wir reisen getrennt. Wenn man mich berauben will, wird man nichts finden.«
    »Und wenn die Bande noch schlauer ist und mir das Päckchen stiehlt?«
    »Ausgeschlossen!« erklärte sie. »Auf die Idee kommt keiner!«
    »Wie Sie meinen, Fräulein Trübner. Ich lehne aber von vornherein jede Verantwortung ab.«
    »Selbstverständlich, lieber Herr Külz.« Sie stand auf. »Mir fällt ein Stein vom Herzen. Ich danke Ihnen, daß Sie mir helfen wollen.«
    Sie schüttelte ihm die Hand.
    Er schüttelte wieder.
    »So«, sagte sie. »Und nun wollen wir uns trennen. Sonst fällt es womöglich auf.«
    »Wie Sie wünschen. Also morgen mittag am Hauptbahnhof vor der Sperre.«
    »Wir reden nicht miteinander. Wir sehen einander nicht an. Sie nehmen unauffällig das Päckchen an sich und verstauen es in Ihrem Koffer. Und in Berlin, am Stettiner Bahnhof, erkennen wir einander ganz plötzlich wieder! Einverstanden?«
    »Ich werde Blut schwitzen«, befürchtete er. »Aber für Sie ist mir keine Wurst zu teuer.«
    »Auf Wiedersehen«, sagte sie. »Herr Steinhövel darf künftig nur noch bei Ihnen Fleisch kaufen lassen. Sonst kündige ich am Ersten.«
    »Lieber bei Otto«, meinte Fleischermeister Külz. »Otto braucht es nötiger.«
    »Gemacht! Und nun gehe ich stadtwärts. Sie entfernen sich, bitte, in der anderen Richtung. Sonst könnten wir auffallen. Bis morgen, Papa Külz!« Sie lächelte ihm dankbar zu und schritt von dannen.
    »Bis morgen«, sagte er. Er blickte hinter ihr her. Sie passierte einen Torbogen und verschwand. »Ich bin ein alter Esel«, murmelte er.
    Und davon war er lange Zeit nicht abzubringen.
    Nachdem er die Amalienborg verlassen hatte, geriet er in die Bredgade. In dieser Straße befinden sich sehr viele Antiquitätengeschäfte. Da Külz, wenn auch noch nicht lange, mit Miniaturen zu tun hatte, hielt er es für seine Pflicht, sich mit Kunst zu befassen. Er betrachtete geduldig alle Schaufenster. Er erbückte Kupferstiche, gestickte Ornate, silberne Leuchter, Madonnen aus bemaltem Holz, japanische Aquarelle, Negergötzen, alte Kalender, polynesische Tanzmasken, Elfenbeinschnitzereien, Ruppiner Bilderbögen und vieles mehr. Das meiste gefiel ihm nicht.
    Vor einem der Läden stand der kleine Herr, der ihm den Unterschied zwischen deutschen und dänischen Briefmarken erläutert hatte.
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