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Kassandras Fluch

Kassandras Fluch

Titel: Kassandras Fluch
Autoren: Jason Dark
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Reste der Friedhofsumrandung aus der Erde wuchsen. Da hatte es einmal eine Mauer gegeben, jetzt aber war sie eingerissen und nur noch lückenhaft vorhanden wie ein schlechtes Gebiß. Der Friedhof lag ziemlich hoch, auf der Kuppe eines kleinen Hügels, wo die Erde eingeebnet worden war.
    Im Westen schlug die Brandung gegen die Steilküste. Bei normalem Wetter schallte das Donnern an den Felsen hoch, jetzt, wo der Nebel viele Geräusche schluckte, hörte ich die Laute als ein fernes Rauschen. Ich sah auch nicht die hellen Kämme der Wellen oder den Schaum der Brandung, nur die grauen Wolken, die weiterhin vom Meer heran den Felsen hinaufkletterten und alles verschlingen wollten. Wenn wir Spinosa faßten, dann ging es uns nicht in erster Linie um seine Person, sondern um den Teil des Rings.
    Wie wichtig er war, wußten wir nicht. Sir James hatte uns den Auftrag mit sehr ernst klingender Stimme gegeben und ihn auch als eine geheime Mission bezeichnet. Alles andere hatten wir zurückstellen müssen, nur um den Ring war es gegangen. Die drei Teile, in alle Winde verstreut, mußten gefunden werden und zusammenkommen.
    Die Stille kam mir irgendwie klebrig vor. Sie hüllte mich ein wie ein Umhang. Dabei war es nur der Nebel, der feucht an meinem Körper hochglitt und auch über die Haut kroch.
    Ich drehte mich wieder um. Es war keine bewußt gesteuerte Bewegung, einfach so, und da sah ich das Unheimliche.
    Vor mir bewegte sich ein Grabstein!
    Zuerst hielt ich es für eine Täuschung, bedingt durch den Nebel, aber ich blickte genauer hin und erkannte, daß der Grabstein tatsächlich wegkippte.
    Er fiel nach hinten, als hätte sich jemand unter ihm verborgen, der ihn anhob und kippte.
    Vor ihm, wo sich das Grab befand, tat sich plötzlich eine Lücke auf, als hätte man etwas zur Seite geschoben. Eine Luke, eine Klappe oder etwas Ähnliches, im Nebel kaum zu erkennen.
    Spinosa!
    Das konnte nur Joaquim Spinosa sein, der sich im Grab versteckt hielt. Eine andere Möglichkeit gab es nicht, und wahrscheinlich hatte er mich nicht bemerkt, denn erdachte nichtdaran, seine Bemühungen zu stoppen, sondern sorgte dafür, daß der Grabstein umfiel. Da zog ich meine Waffe!
    Schräg richtete ich die Mündung der Beretta in die Tiefe. Wo sich einmal der Grabstein befunden hatte, sah ich jetzt ein viereckiges Loch, einen Ausgang, der das Ende eines Tunnels darstellte. Jedenfalls sah es so aus.
    Kam er, kam er nicht?
    In den folgenden Sekunden konnte ich nur da stehen und warten. Die Zeit verstrich, der dichte Nebel schien sie sogar träger gemacht zu haben. Ich ging noch näher an die Öffnung heran und veränderte dabei auch den Schußwinkel der Waffe.
    Irgendwann mußte er doch kommen.
    Und er kam.
    Spinosa — ich ging davon aus, daß er es war — machte es sehr spannend. Er zeigte mir zunächst nicht sein Gesicht. Über den Rand der Luke krochen zwei Hände hinweg, wobei die Finger sich krümmten und förmlich in den Rand der Erde eingruben, um dort einen entsprechenden Halt zu bekommen.
    Bei dieser Sicht war es schwer, herauszufinden, ob es sich bei der aus der Tiefe steigenden Person um einen Zombie handelte. Die Finger konnten einer lebenden Leiche ebenso gehören wie einem völlig normalen Menschen. Ich mußte so lange abwarten, bis ich sein Gesicht und die Reaktion erlebte.
    Kraft besaß er, das mußte man ihm lassen. Sie steckte sogar in seinen Fingerspitzen. Nur ein leichtes Zittern war für mich zu sehen, als er sich mit einem letzten Ruck noch höher zerrte.
    Ich sah sein Gesicht!
    Wirklich ein Gesicht? Im ersten Moment war ich geschockt. Es erinnerte mich an eine bleich und kalkig geschminkte Maske, in der mit roter Farbe überstark Lippen nachgezogen waren und auch die Augen von der roten Schminke umlegt wurden.
    Für mich sah er schlimm aus und gleichzeitig anders als ein Zombie, der seine Heimat schon einige Monate tief in der feuchten Erde gehabt hatte. Das weiße Gesicht paßte sich den grauen Schwaden an. Irgendwie schien es dazuzugehören; es schwebte zwischen dem treibenden Dunst wie ein zuckender Fleck.
    Ich räusperte mir die Kehle frei und sprach ihn mit flüsternder Stimme an.
    »Komm raus, Spinosa! Los, raus mit dir!«
    Er tat zunächst nichts. Nur der Mund zog sich in die Breite, ließ einen zischenden Laut entweichen, der sich wie das Fauchen einer Katze anhörte.
    »Ich warte nicht lange!«
    Er sprach nicht, er nickte mir zu. Das reichte mir ebenfalls. Dann veränderte er die Lage seiner Hände, drehte sie und
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