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Kassandra Verschwörung

Titel: Kassandra Verschwörung
Autoren: I Rankin
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stoßen.
    »Woher wussten Sie, dass ein Mann geklopft hat?«, fragte er und sah sich in dem Wohnwagen um.
    »Ich habe Sie durchs Fenster lugen sehen.«
    Der Mann musste lächeln, und Gypsy Rose Pellengro lachte und entblößte dabei die vier Goldzähne in ihrem Mund. »Was kann ich für Sie tun, Sir? Haben Sie den Hinweis draußen nicht gelesen?«
    »Doch. Aber ich würde mir wirklich gern mein Schicksal vorhersagen lassen.« Er hielt inne, strich über seinen dichten schwarzen Schnurrbart und fügte bedeutungsvoll hinzu: »Ich glaube, mir steht eine glückliche Zukunft bevor.«
    Gypsy Rose nickte; nicht dass sie daran irgendwie gezweifelt hätte. »Dann sind Sie hier richtig«, sagte sie. »Ich bin selber im Geschäft mit der Zukunft tätig. Möchten Sie sich setzen?«
    »Nein danke. Ich möchte nur das hier abgeben...« Er langte in sein Jackett und zog einen großen braunen Umschlag hervor. Als er ihn vor der Frau auf den Tisch legen wollte, schnappte sie nach seinem Handgelenk und drehte seine Handfläche nach oben.
    »Ja«, sagte sie nach einem kurzen Blick und ließ die Hand wieder los. »Ich kann sehen, dass Sie in der Liebe enttäuscht worden sind, aber keine Sorge. Die richtige Frau ist gar nicht so weit weg.«
    Er schien entrüstet, dass sie es gewagt hatte, ihn zu berühren. Auf sie herabstarrend rieb er sich das Handgelenk, seine dunklen Augen lagen im Schatten. Für einen Moment lag Gewalt in der Luft. Doch die Frau mit ihrem alten, störrischen Blick saß einfach nur da. Sie wirkte erschöpft. Er konnte ihr nichts antun, das man ihr nicht schon angetan hatte. Also drehte er sich um, murmelte etwas in einer fremden Sprache, stieß die Tür auf und knallte sie so heftig hinter sich zu, dass sie wieder aufflog. Gypsy Rose konnte jetzt die Prozession der vorbeiflanierenden Kirmesbesucher sehen, von denen einige zurückstarrten.
    Sie erhob sich langsam, machte die Tür zu und verriegelte sie, ging zurück zu ihrem Platz und schaltete den Fernseher wieder ein. Hin und wieder befingerte sie den großen braunen Umschlag. Schließlich, als genug Zeit verstrichen war, stand sie auf und legte sich ihr Schultertuch um. Sie ließ die Lampen im Wohnwagen brennen, schloss die Tür jedoch hinter sich ab. Der Abend war heiß und stickig. Sie ging schnell und bahnte sich geschickt ihren Weg durch die Menschenmenge; hin und wieder schlüpfte sie zwischen zwei Ständen hindurch hinter die Transporter und Lastwagen, vorsichtig über Kabel steigend, und vergewisserte sich immer wieder mit einem Rundumblick, dass ihr auch niemand folgte. Dann zwischen zwei anderen Buden wieder zurück ins Gewühl. Der Weg, den sie nahm, schien auf eine gewisse Orientierungslosigkeit hinzudeuten, denn einmal war sie bereits so weit zurückgegangen, dass sie fast wieder an ihrem Ausgangspunkt angelangt war, doch kurz vorher schlug sie eine andere Richtung ein. Alles in allem marschierte sie beinahe fünfzehn Minuten. Fünfzehn Minuten für einen Weg von weniger als vierhundert Metern.
    Es war dunkel geworden, und die Atmosphäre auf der Kirmes hatte sich verändert; es war unruhiger geworden. Die Kinder lagen zu Hause im Bett, und Teenager mit derbem Vokabular hatten das Kommando auf dem Rummelplatz übernommen; sie kippten billiges Dosenbier in sich hinein, blieben ab und zu stehen, um leidenschaftlich zu knutschen oder so zu tun, als würden sie auf ein unbewegliches Ziel schießen. Schreie gellten durch die Nacht. Es war kein Freudengeschrei mehr, sondern wildes Gebrüll – Gebrüll, das nach Ärger klang. Gypsy Rose musste an einen Jungen in Lederjacke denken, der in den Armen seines Freundes lag und gewiegt wurde.
    O Gott, Miss, er ist erstochen worden . Er war nicht gestorben, aber sein Leben hatte am seidenen Faden gehangen.
    Weniger als vierhundert Meter von ihrem Wohnwagen entfernt befand sich die Geisterbahn. Auf der schmalen Gleisspur, die hinter den beiden zweiflügeligen Türen verschwand, standen die geparkten Wagen. Auf dem Schild an der Kartenverkaufsbude stand GESCHLOSSEN. Zu dieser nächtlichen Stunde wäre sowieso niemand auf die Idee gekommen, mit der Geisterbahn zu fahren. Eine Kette versperrte den Zutritt zu den Holzbohlen vor den Wagen. Sie hob ihren Rock und stieg über die Kette, was ihr einen Beifallsruf und einen bewundernden Pfiff von jemandem hinter ihr eintrug. Mit einem letzten Blick über die Schulter stieß sie eine der Doppeltüren auf, die mit dem grinsenden Gesicht des Teufels bemalt war, und ging
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