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Karpfen, Glees und Gift im Bauch

Karpfen, Glees und Gift im Bauch

Titel: Karpfen, Glees und Gift im Bauch
Autoren: Werner Rosenzweig
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»Gell mid uns hasd ned grechnd? Lang gnuuch hasd uns ja hinders Lichd gfiehrd, abber edz is aus, dei Schbiel!« Die Kunni war es, die das Wort führte. »Verschdehsd uns scho, brauchsdi gor ned zu verschdelln! Mier wissen scho, dass du an der Uni in Schanghai Deidsch schdudierd hasd. Und a gude Bognschidzin bisd aa. Hasd ned umsunsd a Silbermedaillje bei die Olymbischn Schbiele, 2004 in Adeen gwunna. Ja, ja Lin Sang, dees Inderned vergissd nix. Lang hads dauerd, bis mier dees rausgfunna ham. Edz mussd uns bloß nu derzähln, warum du der Veronika ihrn Moo und den Gusdav Haeberle umbracht hasd. Dees hammer nämli nunni ganz kabierd.«
    Lin San sah die beiden alten Damen mit großen Augen an. Auch wenn die beiden, genau wie Toni, diesen furchtbaren, einheimischen Dialekt sprachen – sie verstand schon, welche Vorwürfe die zwei ihr machten und was sie heraus gefunden hatten. Lin Sangs Nervenkostüm brach endgültig zusammen. Sie ließ sich auf ihr Sofa fallen, vergrub das Gesicht in beide Hände und fing fürchterlich zu heulen an. Heftige Weinkrämpfe schüttelten ihren Körper. Tränen flossen wie Gießbäche aus ihren Augen und laut schluchzend gab sie ein Stakkato chinesischer Flüche von sich.
    Retta tat die Chinesin ein bisschen leid. Sie nahm sie in die Arme und sprach beruhigend auf sie ein. Nach fünf Minuten beruhigte sich Lin Sang, und auf einmal begann sie, immer noch schniefend, ihre Geschichte leise, aber mit klaren Worten in Deutsch zu erzählen.
    Das ging etwa zwanzig Minuten so, ohne dass Retta oder Kunni sie unterbrachen. Bis jemand an der Haustür klingelte. Abrupt unterbrach Lin Sang ihre Erzählungen, rannte zum Fenster und sah hinaus. Sie benahm sich plötzlich wie eine wilde Furie, riss das Telefonkabel aus der Wand, ließ ihre gepackte Reisetasche unbeachtet stehen und rannte aus der Wohnung. Von außen versperrte sie die Eingangstür, rannte die Treppe hinab und stieg draußen in einen schwarzen Audi A6, mit Münchner Autokennzeichen. Der Pkw beschleunigte sofort und entfernte sich mit quietschenden Reifen.

    Backofen

    Es war fünf Uhr am Morgen, der Tag nach Toni Welleins Verhaftung und Lin Sangs überraschender Flucht.
    In der Senke, zwischen Schlossgrabenstraße, Ringstraße und Kapellenstraße lag dichter, träger Nebel. Er wurde zusätzlich von dem weißen Rauch genährt, der seit zwei Stunden aus dem Kamin des Backofens quoll, der dem Backofenverein gehörte. Die zwei Straßenlaternen, in der Schlossgrabenstraße hatten mit ihrem fahlen, orange-gelben Licht nicht die geringste Chance, die dicke Suppe zu durchdringen. Der Nebel roch penetrant süßlich und schlich sich auch in die umliegenden Straßenzüge und in die Zimmer der gekippten Fenster. Die hölzerne Backofentür hing schräg in ihren Türangeln. Sie war gewaltsam aufgebrochen worden. Die schwere, gusseiserne Feuerschutztüre stand ebenfalls offen und drinnen im Feuerraum knisterte und knackte die Glut trockener Buchenholzscheite. Kleine Flammen züngelten und leckten an dem total verkohlten menschlichen Körper oder, besser gesagt, an den Resten, welche von ihm übrig geblieben waren. Die Fettsäuren, Ursache des ekelerregenden Geruchs hatten sich längst zersetzt. Gleich neben dem Backofen stand ein geöffneter Zwanzig-Liter-Benzinkanister und entließ seinen typischen Geruch zusätzlich in die Stille der Nacht.
    Im Haus, welches dem Backofen am Nächsten stand, räkelte sich Gerlinde Schmalzbauer genussvoll in ihrem Bett und träumte von der bevorstehenden Weihnachtszeit, von Glühwein, Dominosteinen und herrlich nach Zimt duftenden Weihnachtsplätzchen. Neben ihr schlief ihr Mann Ottokar und sägte gerade den dazugehörigen Weihnachtsbaum, eine zimmerhohe Nordmanntanne, um. Erneut drängte sich dieser süße Duft frisch gebackener Weihnachtsplätzchen in Gerlindes Träume. Irgendwie roch das Weihnachtsgebäck heuer aber anders. Gar nicht so appetitlich wie sonst. Eher sogar etwas ekelig. Ekelig süß. Widerlich. Hatte sie heuer andere Zutaten verwendet? Ottokar sägte immer noch am Baum. Der penetrante Duft der Vorweihnachtszeit ließ sie nicht mehr richtig weiterschlafen. Er störte sie. Hatte vielleicht Ottokar, der alte Stinker, beim Sägen gefurzt? War er es, der so penetrant stank? Gerlinde war auf einen Schlag putzmunter. Es stank schrecklich im gemeinsamen Schlafzimmer, trotz gekipptem Fenster. Sie hatte diesen ekeligen Geruch noch nie vorher wahrgenommen. Selbst Ottokar stank nicht so penetrant. Er konnte es nicht
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