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Karneval der Alligatoren

Karneval der Alligatoren

Titel: Karneval der Alligatoren
Autoren: James G. Ballard
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Kerans schüttelte langsam
den Kopf. »Nein, seit er damals verschwunden ist, habe ich ihn nicht mehr
gesehen. Der wird schon weit im Süden sein.«
    »Vermutlich haben Sie recht. Ich
dachte nur, er wäre vielleicht doch noch in der Gegend.« Er sah Kerans
freundlich an – offenbar hatte er ihm die Sache mit der Teststation vergeben,
oder war er einfach zu vernünftig, ihn jetzt nach seiner Tortur damit zu
belästigen. Er wies auf die schlammverkrusteten Häuser, die geradezu greifbare
Gluthitze in den Straßen: »Scheußlich, das da unten. Schade um Bodkin. Er hätte
doch mit uns kommen sollen.«
    Kerans nickte. Die Tür des Büros war
mutwillig mit Macheten bearbeitet worden – nach Bodkins Tod hatte man auch hier
alles zu verwüsten versucht. Jetzt herrschte wieder einigermaßen Ordnung, die
Soldaten hatten aufgeräumt, so gut es eben ging. Bodkins Leiche hatte noch
zwischen den blutgetränkten Aufzeichnungen unten im Labor gelegen, sie war zum
Patrouillenboot geflogen worden. Kerans merkte zu seiner Überraschung, daß er
Bodkin fast vergessen hatte und nur ganz oberflächliches Mitleid für ihn
empfand. Als Riggs dagegen Hardman erwähnte, wurde ihm klar, daß dies etwas
viel Dringenderes und Wichtigeres berührte, daß die große Sonne immer noch
magnetisch in ihm pulsierte; eine Vision endloser Sandbänke und blutroter
Sümpfe im Süden stieg vor ihm auf.
    Er ging zum Fenster, zupfte einen
Splitter von seiner sauberen Uniformjacke und starrte auf die kauernden
Gestalten unter dem Schiffsrumpf. Strangman und der Admiral waren zu Macready
hinübergegangen und diskutierten mit ihm. Er schüttelte ruhig den Kopf.
    »Warum lassen Sie Strangman nicht
verhaften?«
    Riggs lachte. »Weil ich nichts gegen
ihn vorbringen kann. Nach den Gesetzen war er durchaus berechtigt, sich gegen
Bodkin zur Wehr zu setzen und ihn nötigenfalls auch zu töten.« Kerans drehte
sich um und sah ihn überrascht an.
    »Sie kennen doch das Landnahme- und
Deichgesetz, oder? Immer noch in Kraft. Ich weiß, Strangman ist eine bösartige
Kreatur, dazu diese scheußliche weiße Haut und die Krokodile, aber für das
Auspumpen der Lagune verdient er im Grunde eine Medaille. Ich werde einen
schweren Stand haben, meine Maschinengewehre da unten zu rechtfertigen. Sie
können mir's glauben, Robert, wäre ich fünf Minuten später gekommen und Sie
bereits in Stücke geschnitzelt gewesen, so hätte Strangman durchaus behaupten
können, daß Sie ein Komplize Bodkins waren, und ich hätte nichts gegen ihn
unternehmen dürfen. Der Mann ist schlau.«
    Kerans hatte nur drei Stunden
geschlafen, er lehnte sich müde lächelnd ans Fenster und verglich Riggs
tolerante Haltung Strangman gegenüber mit seinen eigenen Erfahrungen. Die Kluft
zwischen Riggs und ihm selbst war noch größer geworden. Er sah Riggs vor sich,
hörte seine Erklärungen und konnte sein Hiersein nicht fassen. Es war, als
stünden Zeit und Raum zwischen ihnen, als wäre Riggs derjenige, der die Zeit
durchmaß, nicht mehr er selbst. Auch die Soldaten erschienen ihm merkwürdig
unwirklich. Viele Gesichter waren ihm neu, einen Teil der alten Mannschaft
hatte man ersetzt, auch Wilson und Caldwell, die ebenfalls zu träumen begonnen
hatten. Allein schon der körperliche Gegensatz – müde Augen, blasse Haut – zu
Strangmans robusten, dunklen Burschen ließ sie irreal und geisterhaft
erscheinen – sie verrichteten ihre Arbeiten wie intelligente Roboter.
    »Und die Plünderei?«
    Riggs zuckte mit den Schultern.
»Außer ein paar Sachen aus einem alten Woolworth-Laden hat er nichts mitgehen
lassen, was man nicht auf das Konto natürlichen Übermuts seiner Leute buchen
könnte. Und daß er Statuen und solches Zeug rettet, ist in unserem Interesse,
er holt ja Kunstschätze heraus, die seinerzeit zurückgelassen werden mußten.
Warum er das tut, weiß ich allerdings selbst nicht.« Er klopfte Kerans auf die
Schulter. »Vergessen Sie den Kerl, Robert. Daß er sich jetzt so ruhig verhält,
beruht nur darauf, daß er sich im Recht weiß. Sonst hätten wir hier einen
schönen Kampf zu bestreiten gehabt. Sie sehen übrigens gar nicht gut aus –
haben Sie immer noch diese Träume?«
    »Ab und zu.« Kerans schüttelte sich.
»Die letzten Tage hier waren völlig verrückt. Es ist schwer, Strangman zu
charakterisieren – mir kommt er vor wie ein weißer Teufel aus einem
Voodoo-Kult. Daß er straffrei ausgehen soll, will mir nicht in den Kopf. Wann
werden Sie die Lagunen wieder überfluten
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