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Kaputt in El Paso

Kaputt in El Paso

Titel: Kaputt in El Paso
Autoren: Rick DeMarinis , Frank Nowatzki , Angelika Müller
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Auftritt hat. Ein Mann mit zwei Gesichtern, oder, wie man es nimmt, nur einem halben: »Über dieses Thema vergaß er alles andere und wandte mir sein Gesicht zu. Die rechte Seite seines Kopfes war völlig entstellt. Die Augenhöhle war vernäht und dort, wo ein Wangenknochen hätte sein sollen, befand sich eine konkave Wölbung. Seine rechte Schädelhälfte war kahl und flach wie ein Brett. Eine wulstige, rote Naht verlief in Form eines Hufeisens von der leeren Augenhöhle bis hin zu dem Knochen hinter seinem Ohr.«
    DeMarinis macht es sich nicht so einfach, die zerstörte Hälfte des Gesichts zur Wahrheit des Ganzen zu erklären. Die andere Hälfte des Gesichts, die Uriah zunächst zu sehen kommt, ist unversehrt, ja schön. Die Wahrheit ist vielmehr, dass beides existiert, in unerklärlichem Nebeneinander, das Verkommene und Zerstörte neben dem Normalen und dem Schönen. Oder auch: Beides hängt zusammen wie die Satzteile in den Beispielen falscher Grammatik, an denen Güero so großen Spaß hat. Und wenngleich DeMarinis’ primäres literarisches Interesse fraglos der schockierenden Hälfte gilt, leugnet er die andere Seite keineswegs. Nur wirklicher Trost ist aus der Existenz der Normalität nicht zu beziehen. In der Genauigkeit der Beschreibung, in der Gnadenlosigkeit und Komik zugleich, enthält DeMarinis dem Leser vielmehr die Gemütlichkeit dessen gerade vor, der mit bequemem Abstand auf Zustände blickt, über deren Abgründigkeit er sich erhebt. Die Genauigkeit von DeMarinis’ Prosa mutet dem Leser etwas ganz anderes zu: Sie stößt ihn mitten hinein in den Schmutz, die Brutalität und die Kleinlichkeit der Existenzen, die kaputt sind, an Orten an der Grenze der zivilisierten Welt; in der texanisch-mexikanischen Grenzstadt, in der DeMarinis lange Jahre lebte und lehrte, nur zum Beispiel.
    Kaputt in El Paso beginnt ganz unten und arbeitet sich dann nach oben. Die erste Szene beschreibt die Begegnung mit Klebstoff-Schnüfflern, über die es nur heißt: »In deinem Fall ist der Begriff Menschenrechte ein Oxymoron.« Auf dem Weg in die Beletage der Gesellschaft wird der Gestank freilich immer ärger. Was nicht wenig heißen will, wenn zu Beginn erst einmal ein Held als Ich-Erzähler installiert wird, der im wesentlichen damit beschäftigt ist, als Hausmeister und Klempner die verstopften Toiletten in einer heruntergekommenen Apartmentanlage von der Scheiße zu befreien. Was natürlich eine Angelegenheit von permanenter Vorläufigkeit bleibt. Dieser Held ist der akademisch gescheiterte Bodybuilder namens Uriah Walkinghorse, dessen Frau ihn gerade für einen Autorennfahrer mit Namen Trey Stovekiss verlassen hat, und der es als Karrieresprung begreift, im Rahmen einer sado-masochistischen Veranstaltung drohend die Axt schwingen zu dürfen. Naturgemäß bringt ihn dieser gesellschaftliche Aufstieg erst recht in Teufels Küche. Plötzlich liegt eine Leiche im Keller, es handelt sich um eine Stütze der Gesellschaft. Einer Gesellschaft, versteht sich, die korrupter nicht sein könnte.
    Einer geschlossenen Gesellschaft der Geldkreisläufe, in der es zum Beispiel nur logisch erscheint, wenn der Drogenboss, der sich an den Junkies eine goldene Nase verdient, dann auch noch mit dem Bau eines privat finanzierten Gefängnisses Kohle macht, in die die Drogenhändler dann gesteckt werden. Wofür ihm die Gesellschaft, versteht sich, einst Denkmäler bauen wird. Einer Gesellschaft, die auf Sucht gebaut ist und Süchten, zwischen denen, wer den Erfolg sucht, freilich zu wählen hat. Die Sucht, die Erfolg bringt, ist in makelloser Logik eben die Sucht nach Erfolg. Hier erklärt der aus dem akademischen Betrieb expedierte Barbetreiber Güero seiner Zuhörerschaft aus Trinkern diesen Sachverhalt: »Was den Menschen betrifft, ist Abhängigkeit ein natürlicher Zustand«, erklärte er. »Jeder ist von irgendetwas abhängig. Ihr habt den Alkohol gewählt, hombres, weil es euch nicht gelungen ist, ein Suchtverhalten anzunehmen, das von der Gesellschaft belohnt wird.« Die Säufer stimmen freudig zu, worauf Güero sein Weltbild in bündigem Nihilsmus zusammenfasst: »Es ist bedeutungslos. Wie Demokrit vor gut zweitausendfünfhundert Jahren sagte, existiert nichts, nur Atome und das Leere, alles andere ist eine Frage der Auffassung.«
    Die letzte Wahrheit des Romans ist das nicht. Nur eine Meinung wie andere auch – daneben steht, nicht ohne Respekt gezeichnet, etwa auch Uriahs frommer Bruder Jesaja. Und dagegen steht, wenn auch
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