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Kann ich gleich zurueckrufen

Kann ich gleich zurueckrufen

Titel: Kann ich gleich zurueckrufen
Autoren: Barbara Streidl
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Erkältungen mal abgesehen. Paracetamol sei Dank habe ich es bislang immer geschafft zu funktionieren. Und mich am Wochenende, unterstützt von meinem Mann, erholt.
    23:55 Uhr. Ich drehe mich von der einen auf die andere Seite und betrachte meinen schlafenden Mann. Er hat zwei Monate Elternzeit genommen, als ich wieder angefangen habe zu arbeiten. In dieser Zeit hatte unser Sohn die Hand-Fuß-Mund-Krankheit und eine Erkältung. Diese ewigen Krankheiten. Es ist noch nicht mal Mai, und ich musste schon neun Tage wegen diverser Erkältungen mit meinem kranken Kind zu Hause bleiben. Neben weiteren Erkältungen werden irgendwann trotz aller Impfungen auch die großen Kinderkrankheiten kommen: Windpocken, Röteln, Mumps, Scharlach – hoffentlich nicht alle in diesem Jahr. Da werden meine zehn Tage nicht ausreichen, allein bei Windpocken rechne ich mit vierzehn Tagen Quarantäne. Und meine Urlaubstage sind natürlich auch schon verplant.
    Mein Mann atmet schwer. Vielleicht träumt er. In diesem Jahr muss er sein Kontingent an Kinderbetreuungstagen anbrechen. Das hat er bisher noch nicht gemacht, weil er sagt, es würde mir leichter fallen, einen Tag oder zwei nicht ins Büro zu gehen. Ich habe ihm bislang zugestimmt, bin mir aber inzwischen nicht mehr sicher, ob er wirklich Recht hat. Tatsächlich arbeite ich dreißig Stunden in der Woche und er vierzig. Verbringe ich einen Tag am Krankenbett meines Sohnes, versäume ich sechs Stunden Arbeitszeit, bei ihm wären es acht Stunden. Plus Mittagspause, die er in der Betriebskantine verbringt. Er verpasst faktisch pro Tag 8,75 Stunden Bürozeit, wenn er unser krankes Kind pflegt.
    Mitternacht. Ich drehe mich auf den Rücken. In nicht mal sieben Stunden klingelt der Wecker. Diese Woche gibt es keine Frühtermine, hat mein Mann beim Abendessen gesagt. Ich bin froh, weil Meetings um acht sehr viel Unruhe in einen normalen Tagesablauf bringen. Das habe ich in den letzten Wochen gemerkt, als mein Mann häufig zu Terminen sehr früh am Morgen musste. Seine Firma, ein großer Automobilkonzern, steht kurz vor der Fertigstellung einer neuen Limousine. Deshalb war mein Mann in der vergangenen Woche bei zwei Acht-Uhr-Terminen und einem Businesslunch mit seinem Abteilungsleiter.
    Mein Magen knurrt. Was habe ich heute gegessen? Kartoffelsuppe am Abend, Frühstück und das Pausenbrot am Schreibtisch. Zwischendurch eine Banane. Da es in meiner Firma keine Kantine gibt, fällt ein tägliches Mittagessengehen für mich aus. Weder zeitlich – die meisten besuchen ein italienisches Restaurant, das zwei Straßen entfernt ist, sie sind mit Hin- und Rückweg etwa eine Stunde außer Haus – noch finanziell. Trotz wechselnder Mittagstischangebote kostet ein warmes Gericht plus Getränk in diesem Restaurant um die 13,00 Euro. Es gibt Betriebe, die das Mittagessen ihrer Angestellten bezuschussen, ebenso wie sie Fahrtgeld zahlen oder Werkswohnungen stellen. Ich weiß nicht, ob das in meiner Firma üblich ist. Ich weiß nur, dass ich keinen Mittagessenzuschuss bekomme. Weil ich schlecht verhandelt habe.
    Mein Magen beruhigt sich wieder. Ich überdenke kurz meinen Tag. Einiges kann ich abhaken: das Telefonat mit der Putzfrau auf dem Weg ins Büro, meine Arbeit. Ich war rechtzeitig im Kindergarten und pünktlich mit dem Kleinen beim Turnunterricht. Eine Kartoffelsuppe zu kochen habe ich auch geschafft. Leider ohne Würstchen. Die Präsentation für meinen Vorgesetzten habe ich zusammengestellt, während mein Mann lange mit einem alten Schulfreund telefoniert und eine Talkshow im Fernsehen angesehen hat. Nichts ist liegen geblieben. Sogar den Wäschetrockner habe ich ausgeräumt.
    Worauf ich aber gar nicht stolz bin, ist, dass ich den ganzen Tag so atemlos war. Dass ich den Kleinen ständig angetrieben habe, am Morgen auf dem Weg in den Kindergarten, am Nachmittag zum Turnen und danach wieder nach Hause. Dass ich meinem Mann ständig ins Wort gefallen bin, beim Frühstück, zwischendurch am Telefon und auch am Abend. Mein Mann sagt, dass es ihn ärgert, wenn ich ihn unterbreche und seine Sätze vervollständige. Vor allem wenn ich in die falsche Richtung komplettiere. Ich glaube aber, dass es Zeit spart, nicht zu ausführlich zu sein, sondern abzukürzen.
    Oft fühle ich mich, als wäre ich nur eine Abkürzung meines wahren Ich. So als würde ich aus vielen farbigen Mosaiksteinen bestehen, hätte aber aus Zeitgründen auf einige verzichtet, sodass jetzt Teile von mir fehlen. Dieses Gefühl übertrage ich
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