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Kandide oder die beste aller Welten

Kandide oder die beste aller Welten

Titel: Kandide oder die beste aller Welten
Autoren: ekz.bibliotheksservice GmbH
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Steine Kandiden hart getroffen; er war umgesunken und lag unter den Trümmern fast begraben. Lieber Panglos! rief er, nur ein wenig Wein und Öl, oder ich muß sterben. Dieses Erdbeben ist gar nichts besonders, antwortete der sich nähernde Panglos, im verwichnen Jahre hatte die Stadt Lima in Amerika ein gleiches Schicksal: gleiche Ursachen bringen gleiche Wirkungen hervor, es geht ganz gewiß kein Strich Schwefel von Lima bis nach Lissabon unter der Erde weg.
    "Höchstwahrscheinlich! aber um Gottes willen ein wenig Öl und Wein." Wahrscheinlich nur? nur wahrscheinlich wär's? erwiderte der Philosoph, erwiesen ist es, Herr, klar erwiesen, behaupt' ich. Kandide ward ohnmächtig, und Panglos brachte ihm ein wenig Wasser aus einem benachbarten Springbrunnen. Sie durchkrochen den Tag darauf die eingestürzten Gebäude, fanden da einige Lebensmittel, erquickten und stärkten sich wieder ein wenig und halfen darauf – wie andre auch taten – den dem Tode entronnenen Einwohnern retten, was sich noch retten ließ.
    Einige Bürger, denen sie beigesprungen waren, tischten ihnen ein so gutes Mahl auf, als man in
der
Lage nur verlangen konnte. Es war ein Mahl der Traurigkeit, jeder Bissen mit Tränen benetzt.
    Panglos tröstete die Anwesenden und gab ihnen die Versicherung; daß es gar nicht anders sein könnte, weil die Welt aufs beste eingerichtet sei. Denn, sagte er, wenn zu Lissabon ein unterirdischer Brand ist, kann keiner zu Wien und Berlin sein, sintemal es unmöglich, daß ein Ding an mehr als an einem Orte zugleich sein kann, alldieweil alles, was da ist, gut ist.
    Neben ihm saß ein schwarzröckiges Männlein, ein Familiar der heiligen Inquisition, das hub in höflichem Tone an: Vermutlich glauben der Herr keine Erbsünde, denn wenn alles, was da ist, gut ist, gibt's weder Sündenfall noch Strafe.
    Ich bitte Ew. Hochehrwürden alleruntertänigst um Verzeihung, erwiderte Panglos mit noch höflicherm Ton und Gebärden, ich glaube beides, alldieweil der Sündenfall und der über die Menschen ausgesprochne Fluch in den Plan der besten aller möglichen Welten notwendig hereingehören.
    Also statuieren der Herr keine Willensfreiheit? sagte der Familiar. "Ew. Hochehrwürden verzeihen; Willensfreiheit kann sich mit der unumschränkten Notwendigkeit gar wohl vertragen, sintemal es notwendig war, daß wir willensfrei waren, alldieweil der vorherbestimmte Wille ..."
    Panglos steckte noch mitten in seiner Demonstration, als der Familiar der Inquisition seinem Untergebenen, der ihm Oporto oder Porto einschenkte, einen Wink mit dem Kopf gab.

Sechstes Kapitel: Probates Mittel der hochehrwürdigen Inquisition fürs Erdbeben, bestehend in einem schönen Autodafe, wobei Kandide den Staupbesen bekommt
    Nachdem das Erdbeben drei Viertel von Lissabon verwüstet hatte, war im Rate der Wächter und Weisen des Landes beschlossen worden, dem Pöbel ein gar stattliches Autodafe zu geben. Ein kräftigers Mittel, dem gänzlichen Untergange der Stadt vorzubauen, hatten sie nicht können ausfindig machen. Auch hatte die Universität zu Coimbra den Ausspruch getan: einige Personen mit gehörigen Solennitäten und Formalitäten an langsamem Feuer gebraten, wäre das probateste Mittel, allen f ernerweitigen Erdbeben vorzubeugen.
    Sonach hatte man einen Biskajer eingezogen, der seine Gevatterin geheiratet zu haben war überführt worden, und zwei Portugiesen, die den Speck aus einem Huhn geschnitten hatten, eh' sie's gegessen. Nach dem Essen wurde Magister Panglos samt seinem Jünger Kandide in Ketten und Banden gelegt; jener wegen seiner Reden, dieser wegen der Miene des Beifalls, mit der er zugehört. Man führte jeden in ein besonders Gemach, kühl wie ein Eiskeller, wo die Sonne einem nie auf die Scheitel stach. Nachdem acht Tage verflossen waren, legte man ein Skapulier um ihre Schultern und schmückte ihre Häupter mit Papiermützen. Kandidens Mütz' und Skapulier war mit abwärtsgehenden Flammen bemalt und mit Teufeln sonder Krallen und Schwänzen, aber Panglosens Teufel hatten Krallen und Schwänze, und die Flammen stiegen aufwärts.
    So bekleidet zogen sie in feierlichster Prozession daher, hörten eine Predigt an, die durch Mark und Bein fuhr, und darnach eine gar unliebliche, disharmonische Choralmusik. Während des Gesangs ward Kandide nach Noten mit Ruten gestrichen; der Biskajer und die beiden Speckverächter verbrannt, und Panglos wider allen Schick und Brauch aufgehängt. Und unter der Erde begann von neuem ein gräßliches Gerassel
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