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Kanalfeuer: Ein Fall für Olga Island (German Edition)

Kanalfeuer: Ein Fall für Olga Island (German Edition)

Titel: Kanalfeuer: Ein Fall für Olga Island (German Edition)
Autoren: Kirstin Warschau
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Olga Island am nächsten Morgen um halb sechs in ihrer Wohnung in der Yorkstraße erwachte und mit einer Tasse Ingwertee gegen die morgendliche Übelkeit ins Wohnzimmer hinüberging, fielen die ersten Sonnenstrahlen des Tages auf die Dieffenbachie und ließen die gesprenkelten Blätter hellgrün aufleuchten. Island hatte die Pflanze vor einer Woche mit nach Hause genommen, denn sie konnte nicht mit ansehen, wie das vernachlässigte Gewächs im Besprechungszimmer der Mordkommission einen langsamen, sommerlichen Vertrocknungstod starb. Und bisher hatte sich noch keiner beschwert, dass die Dieffenbachie nicht mehr an ihrem Platz stand. Wahrscheinlich war es überhaupt noch niemandem aufgefallen.
    Kriminalkommissarin Karen Nissen war die Einzige, die der Pflanze ab und zu mal Wasser gab, aber sie war für drei Wochen mit ihrer Familie zu ihren Schwiegereltern nach Fehmarn gefahren. So lange würde die Dieffenbachie nun Ferien auf Islands Fensterbank machen.
    Wenn es aber im Ostuferhafen tatsächlich zwei Tote und mehrere Verletzte gegeben hatte, würde der Erste Hauptkommissar Thoralf Bruns die Urlauber Nissen und Taulow umgehend in den Dienst zurückholen. Denn die Mordkommission Kiel war ein kleines Dezernat, und bei so einer Großlage wurde jeder Mitarbeiter gebraucht.
    Island stellte das Fenster auf Kipp und schaltete das Radio ein. Ein Oldie aus den Siebzigerjahren säuselte ihr in die Ohren. Sie streckte sich auf dem Sofa aus, trank in kleinen Schlucken den Tee und blätterte in der Zeitung. Frische, kühle Luft strömte durch das Fenster. Island dachte daran, dass sie am späten Nachmittag einen Ultraschalltermin bei ihrer Frauenärztin hatte, den sie nicht vergessen durfte. Um sechs Uhr kamen die Radionachrichten und holten sie unsanft in die Realität zurück.
    »Auf dem Gelände des Ostuferhafens in Kiel hat es gestern Nacht einen schweren Zwischenfall gegeben«, berichtete der Nachrichtensprecher. »Kurz vor der geplanten Abfahrt einer Fähre nach Kotka in Finnland starben unter noch ungeklärten Umständen zwei Menschen, mehrere Personen wurden leicht verletzt in ein Krankenhaus eingeliefert. Wie unserem Sender bekannt wurde, ist aus dem Tank eines Gefahrguttransporters eine hochgiftige Substanz ausgetreten. Es handelt sich um Toluol, einen Stoff, der unter anderem bei der Herstellung von Kunststoffen verwendet wird. Die Kieler Feuerwehren und Rettungsdienste waren bis in die Morgenstunden im Einsatz. Laut Aussage des Feuerwehreinsatzleiters Jörg Pettersee lag zu keinem Zeitpunkt eine Gefährdung für die umliegenden Wohngebiete vor. Es kann aber nicht ausgeschlossen werden, dass weitere Personen mit der Flüssigkeit in Kontakt gekommen sind. Alle Menschen, die sich gestern im Ostuferhafen aufgehalten haben und an Symptomen wie Kopfschmerzen, Übelkeit und Erbrechen leiden, werden dringend gebeten, einen Arzt aufzusuchen.«
    Eine Dreiviertelstunde später schloss Olga Island ihr Rad im Hof der Bezirkskriminalinspektion an und machte sich auf den Weg in den dritten Stock. Obwohl sie die Stufen langsam hinaufstieg und auf jedem Treppenabsatz eine Pause einlegte, musste sie schnaufen.
    Im Treppenhaus kam ihr Jan Dutzen entgegen. Er trug eine verwaschene Jeans und ein altes, grünes T-Shirt mit der Aufschrift »Polizei«, ein Relikt aus Zeiten, als die Schleswig-Holsteinische Polizei ihre Dienstkleidung noch nicht auf die Farbe Blau umgestellt hatte. Es waren seine Wechselklamotten aus dem Spind im Keller, und Island schloss daraus, dass er die Nacht durchgearbeitet hatte. Das alte Polizei-T-Shirt spannte etwas über seiner Brust. Das mochte daran liegen, dass er vor einiger Zeit angefangen hatte, exzessiv Kampfsport zu treiben.
    Ihre Kollegin Henna Franzen war die Erste gewesen, der die Veränderungen an Jan Dutzen aufgefallen waren. Sie war besorgt gewesen, weil er im Frühjahr eine Zeit lang verstärkt dem Alkohol zugesprochen hatte. Erst als er nach einem schweren Fahrradsturz ein paar Tage mit verpflasterter Stirn hatte herumlaufen müssen, hatte er angefangen, etwas an seinem Leben zu verändern. Die Bizepse seiner gebräunten Arme waren jedenfalls sehenswert.
    »Moin«, sagte er knapp.
    »Moin«, antwortete Island. »Wohin des Weges?«
    »Rechtsmedizin. Sind ja drei Tote inzwischen. Werd eine Weile drüben sein bei Engel und Co.«
    »Ist der Chef schon da?«, fragte Island, während sie versuchte, nicht zu kurzatmig zu wirken.
    »Thoralf ist noch beim Wasserschutz. Die sind ja eigentlich für den Hafen
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