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Kanaken-Gandhi

Kanaken-Gandhi

Titel: Kanaken-Gandhi
Autoren: Osman Engin
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Eingang unserer Fabrik kommt mir unser Pförtner Harry entgegen.
    »Osman, wie siehst du denn aus? Hast du etwa schon wieder eine Diskussion mit deiner Frau gehabt? Ach so, fast hätte ich es vergessen, der Geschäftsführer will dich sofort sprechen!« »Oh, das ist schön! Der Herr Dünnebier will bestimmt meinen Lohn erhöhen.«
    Ich bin jahrelang bei Herrn Ingenieur Dünnebier gewesen, damit er endlich meinen Lohn erhöht. Jetzt, nach langem Betteln, hat er endlich mein Flehen erhört! Wie oft war ich schon bei ihm im Büro und musste mir immer wieder die gleiche Predigt anhören:
    »Sie wissen, Herr Engin, bei uns in der Fabrik sind wir alle wie eine Familie.«
    Das kannte ich mittlerweile! Wenn er so anfing, dann hieß das: Eine Lohnkürzung steht ins Haus! Diese Masche hat meine Frau auch drauf. Wenn sie das Wort »Familie« in den Mund nimmt, dann muss ich zufrieden sein, dass ich überhaupt noch was zu essen bekomme. Vielleicht bin ich deswegen so allergisch gegenüber dem Wort »Familie«. Immer wenn man es in meiner Gegenwart erwähnt, dann will man mich ausrauben. Danach hat Herr Ingenieur Dünnebier immer gesagt: »Herr Engin, die ganze Fabrik ist eine Familie, und ihr seid meine Kinder. Wenn es mir gut geht, dann geht es euch auch gut. Wenn ich genügend Geld verdiene, dann kann ich euch ein bisschen abgeben. Aber Sie wissen ja, wir kriegen kaum Aufträge. Die Rezession...«
    »Aber warum müssen wir dann seit Monaten Überstunden schieben? Jeden Tag läuft mir der Schweiß den Rücken runter, und ich hab’ nicht mal Ze it, ihn abzuwischen!« »Nein, Herr Engin! Nein, nein, nein! Das kommt Ihnen nur so vor. Seit Jahren schreiben wir rote Zahlen. Die ganze deutsche Wirtschaft steckt in einer tiefen Rezession. Erst letzte Woche mussten wir den Zweitwagen von meiner Frau verkaufen, damit wir was zu essen einkaufen konnten. Heute morgen wollte meine Tochter ihr wöchentliches Taschengeld haben ... Genau an dieser Stelle laufen Ingenieur Dünnebier dann immer zwei große Tränen die Wangen herunter. Wenn ein erwachsener Mann mir gege nüber sitzt und weint, dann kann ich mich auch nicht mehr kontrollieren: Ich heule mit.
    »Nehmen Sie es doch nicht so tragisch, Herr Dünnebier, wir schaffen das schon!«
    »Nicht mal das Taschengeld für meine Tochter...«
    »Ach, hören Sie doch endlich auf, Herr Dünnebier«, schluchze ich laut mit. »Wir werden dieses Wochenende wieder Überstunden schieben ... »
    »Nicht mal essen gehen konnte ich gestern mit meiner Frau, üühüü uuuhuu!«
    »... und wollen kein Geld für die Überstunden haben!«
    Dann habe ich ihm immer meine Butterbrote mit
    Knoblauchwurst und Knäckebrot mit Ziegenkäse auf den Schreibtisch gestellt und bin völlig niedergeschlagen rausgegangen. Es passiert mir heute also nicht zum erstenmal, dass man mir die Butterbrote raubt!

    Ich finde es sehr feinfühlig und sensibel von Herrn Ingenieur Dünnebier, mir meine Lohnerhöhung an meinem Geburtstag mitzuteilen. Seine Sekretärin öffnet die Tür.
    »Guten Tag, Herr Dünnebier. Da bin ich«, rufe ich stolz und fröhlich, »Osman Engin, der unbezahlbar gute Schlosser aus Halle 4. Der Mann, der Ihre Firma vor dem Ruin gerettet hat!
    Der Mann, der Ihre Tochter glücklich gemacht hat..., ich hab’
    ihr heimlich Taschengeld gegeben.«
    Aber was ist das? Obwohl er mich selbst hat rufen lassen, macht er schon wieder ein trauriges Gesicht. Und ich habe heute nicht mal was zu essen dabei.
    »Herr Engin, ich muss mit Ihnen persönlich reden«, flüstert er mit gefühlvoller Stimme. Gleich kullern wieder die Tränen, denke ich mir.
    »Was ist, Herr Dünnebier, hat Ihre Frau schon wieder nichts zum Anziehen für heute Abend? Es tut mir leid, ich kann Ihnen heute kein Geld leihen.«
    »Nein, Herr Engin, das ist nicht unser Problem. Unser Problem ist, dass wir heute von der Ausländerbehörde Ihretwegen ein Schreiben bekommen haben. Hier, schauen Sie sich diesen Brief selber an!«
    Ich verstehe nichts! Ich weiß überhaupt nicht, worum es geht!
    »Herr Engin, ich muss zugeben, ich habe wirklich nicht gewusst, dass Sie ein Asylbewerber sind.«
    »Das können Sie auch nicht wissen, Herr Ingenieur Dünnebier.
    Ich weiß ja selbst nichts davon. Abgesehen davon, bin ich es wirklich nicht«, erwidere ich.
    »Aber hier im Schreiben von der Ausländerbehörde steht eindeutig, dass ich Sie auf gar keinen Fall hier arbeiten lassen darf, weil Ihr Asylantrag abgelehnt worden ist.«
    »Aber das ist doch nicht möglich! Ich
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