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Kanak Sprak: 24 Mißtöne vom Rande der Gesellschaft

Kanak Sprak: 24 Mißtöne vom Rande der Gesellschaft

Titel: Kanak Sprak: 24 Mißtöne vom Rande der Gesellschaft
Autoren: Feridun Zaimoglu
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beschreiben statt sie vom Schreibtisch aus zu konstruieren.
    Bei der deutschen Übersetzung der Kanak-Sprak muß allein die Sprache für eine Totalaufnahme aller existentiellen Bedingungen wie Gebärde, Gleichnis und Jargontreue bürgen. Bei dieser »Nachdichtung« war es mir darum zu tun, ein in sich geschlossenes, sichtbares, mithin »authentisches« Sprachbild zu schaffen. Im Gegensatz zu der »Immigrantenliteratur« kommen hier Kanaken in ihrer eigenen Zunge zu Wort. Die fertige Ȇbersetzung« wurde dem Befragten zur Einsicht vorgelegt oder vorgelesen und von ihm freigegeben. Jeder ist mit der Publikation einverstanden. Bis auf drei Ausnahmen wurden die Namen geändert und allzu detaillierte Angaben zur Person weggelassen. Die Bänder mußte ich auf ausdrücklichen Wunsch der Gesprächspartner in deren Beisein löschen.
    Mancher Türke hat gelernt, es deutschen Kleinbürgern gleichzutun und ist zum netten Kollegen »Ali« mutiert, den man mal nach Feierabend zum Stammlokal mitnimmt. Andere haben den Sprung zur Universität geschafft und verkehren in deutschen oder internationalen akademischen Kreisen. Für wirkliche Intellektuelle war Interkulturalität immer etwas Selbstverständliches. Dergestalt Integrierte haben es unbestritten in der deutschen Gesellschaft zu etwas gebracht. Sie sind »sozial verträglich«, haben keine gesellschaftliche Sprengkraft. In diesem Buch wird man vergeblich nach ihnen suchen.
    Hier hat allein der Kanake das Wort.
Kiel, im Sommer 1995
Feridun Zaimoglu

Pop is ne fatale Orgie
Abdurrahman, 24, Rapper
    Pop is ne fatale orgie, ein ding ohne höhre weihen, und es macht aus jeder göre aus’m vorort’n verdammten zappler und aus jedem zappler ne runde null. Es schafft ne egalität, wo jeder gleich is und keinen feinschliff braucht, nur tausend träume von rittern, die olle jungfrauen wachküssen, tausend träume, billig zu haben, wie’n pfifferling, tausend träume für’n appel-und’n-eipreis, tausend-tropfen-schnaps, daß du man den zappligen schlotter kriegst. Pop: die große hure babylon.
    Bruder, den pop hab ich gefressen, so wahr wie mir nach kümmel is, nix übrig hab ich für’s flachgepfiffene, ich will da nicht’n abgetragenes kleid tragen, bloß weil’s null kostet. Und ich will, weil ich ne reale größe bin, nen realen anlasser, der mich auf touren bringt und’n bild von mir gibt, das rein und kraftvoll is. Ich hör’s liebesgedudel auf allen frequenzen: »o, ich bin so allein, komm mich doch balde frein« oder »du gehst fort, und ich denk an mord« und so weiter. Was in gottes namen hat dieser dreck mit mir zu tun, was hab ich kanake mit diesem dreck zu schaffen, ich mit den schweren jahren auf’m buckel, ich mit’m willen, den keine naht so recht zusammenhalten mag. Gut, ich seh’s ein, daß’s pack von schlimmem problem gegängelt, vom nixtun und von der ollen maloche so richtig in’n plexus getreten, unterhaltung sucht, die es für’n paar groschenstunden vergessen läßt, was es wieder am nächsten tag anpacken muß oder was es auf ewig in scharfen krallen hat. Nur, die sache is die, daß’s pack null naturzustand hat und im kopp statt grips weites weideland, wo magere gedanken grasen. Nein schlappohr kannst du schlecht beibiegen, daß er man bitteschön die lauscher aufstellen mag, der hat doch zeitlebens nur hirnfaules hundeleben satt geübt, er bleibt ’n zotteliger hausdackel, und wenn du so ner kreatur die olle leine abnimmst, fängt die an zu winseln.
    Pop is was für kostgänger der illusion. Das ist der rechte napffraß. Aus dem trog kannst du die armleuchter speisen und wieder speisen. Pop verfüttert die bräsigsten reste an jene, die nix wollen und nix können und also die mär vom leisetreter fressen, der eigentlich ’n gimpel is, ’n ausgemachter gar, aber der gimpel hat ja die ganz große herzenssache laufen, und mit der liebe wächst er zum tranigen gefühlspaket und darf seiner helga rosen schenken. Für ’n popspezi is die schose kloßbrühenklar: werktag is werktag, danach wird sich amüsiert, bis die schellen bimmeln, und denn wieder von vorn wie gehabt, sprich arm und scheißkaputt und frischrasiert und anzugsfesch und werktag is werktag. Und denn dudel in der disco. Is schon ’n oberfeines völkchen
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