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Kaltes Blut

Kaltes Blut

Titel: Kaltes Blut
Autoren: Andreas Franz
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deine Art. Und jemand, der mit Pferden so gut umgehen kann wie du, ist bei uns jederzeit herzlich willkommen. Du wirst es nicht bereuen.«
    »Ich darf wirklich mit nach Frankreich?« Das Mädchen lehnte sich zurück und trank einen Schluck von dem inzwischen leicht erwärmten Orangensaft. Sie zitterte ein wenig, noch erschien ihr das alles wie ein wunderschöner Traum, ein Traum in einer großen rosafarbenen Blase, die gleich zerplatzen würde. »Ich war das letzte Mal vor fünf Jahren in Urlaub, als mein Vater noch bei uns gelebt hat. Seitdem war ich immer nur zu Hause. Ich würde schon gerne mitkommen …«
    »Dann tu’s einfach. Du bist hiermit ganz offiziell eingeladen. Aber vorher kaufen wir dir noch die entsprechenden Klamotten«, sagte die Frau lachend. »So, und jetzt freu dich einfach und sprich mit deiner Mutter. Und sollte sie wider Erwarten etwas dagegen haben, gib mir Bescheid. Ich regle das dann für dich. Glaub mir, ich bin eine Meisterin im Überreden von sturen Müttern und manchmal auch Vätern. Gebongt?«
    »Ich weiß gar nicht, wie ich Ihnen danken soll …«
    »Das ganze Leben ist ein Geben und Nehmen, das wirst du auch noch feststellen. Ich habe viel genommen, und jetzt gebe ich. Komm, ich zahl nur schnell und setz dich zu Hause ab. Und sprich am besten gleich heute Abend mit deiner Mutter. Du wirst sehen, es ist einfacher, als du denkst. Vertrau mir.«
    »Danke.«
    »Wann gehen wir einkaufen? Am besten schieben wir’s nicht zu lange auf. Sagen wir, morgen Nachmittag um drei? Da hast du doch keine Schule mehr, oder?«
    »Okay, um drei«, erwiderte das Mädchen lächelnd.
    Die Frau bezahlte die Getränke, sie erhoben sich und gingen zum Auto, einem metallic blauen Mercedes SLK Cabrio. Der Wind hatte sich gelegt, die Hitze aber blieb, der Wetterbericht versprach jedoch für die kommenden Tage etwas moderatere Temperaturen. Aber Miriam dachte in diesem Augenblick an alles, nur nicht an das Wetter. Sie würde Mitglied in einem exklusiven Reitclub werden, sie würde morgen ein richtiges Reiteroutfit bekommen, und sie würde im Juli für zehn Tage nach Frankreich fahren. Sie hätte schreien können vor Glück, aber sie hatte in den vergangenen Jahren gelernt, vorsichtig mit ihren Emotionen umzugehen. Sie genoss den Fahrtwind auf ihrer Haut, schloss ein paarmal die Augen. Als sie vor dem Hochhaus im Südring hielten und bevor sie ausstieg, streichelte ihr die Frau noch einmal liebevoll lächelnd über die Hände und anschließend übers Gesicht und sagte: »Dann bis morgen um drei. Ich hol dich ab.«

Mittwoch, 10. Juli, 20.30 Uhr
    Selina Kautz hatte ihre Voltigierstunde beendet und unterhielt sich noch mit Miriam Tschierke, die erst seit kurzem offizielles Mitglied im Club war, und Katrin Laube, die beide mit einigen anderen ausreiten waren. Nur Nathalie Weishaupt fehlte in der Runde, sie fühlte sich nicht gut, hatte ihre Tage, wie siesagte, und war deshalb zu Hause geblieben. Sie ließen noch einmal ihre Erlebnisse in Frankreich Revue passieren, die herrliche Landschaft, die traumhafte Pension am Stadtrand von Toulon, die einer Gräfin gehörte, die sich vor vielen Jahren nach Frankreich zurückgezogen hatte und die nicht nur diese Pension führte, sondern auch noch drei weitere exklusive Häuser besaß, alle mit Blick aufs Meer, eine Gräfin, die sich auch wie eine solche benahm, elegant, würdevoll, aber auch distanziert. Obwohl schon weit über siebzig, war sie noch immer ein Energiebündel, und einmal war sie sogar mit ihnen ausgeritten.
    Insgesamt hatte die Gruppe aus zehn Personen bestanden, sechs Mädchen und vier Frauen. Es waren wunderbare Tage gewesen, mit ebenso wunderbaren, wenn auch bisweilen etwas verstörenden Erlebnissen, die einige der Mädchen erst noch verarbeiten mussten. Doch keine sprach über die Erfahrungen, die jede Einzelne von ihnen gemacht hatte, zu persönlich waren diese gewesen. Aber es waren keine unangenehmen Dinge, die sie zu verarbeiten hatten, nein, im ersten Augenblick vielleicht fremd, etwas irritierend, aber nach und nach hatte man sich daran gewöhnt und es sogar als schön empfunden. Und sie hatten gemerkt, dass Reiten mehr war, als nur ein Pferd zu beherrschen, nein, Reiten war auch eine körperliche Erfahrung.
    Aber darüber sprachen die Mädchen an diesem Abend nicht, als sie am Gatter standen, während sich die Besitzerin des Reitclubs, Emily Gerber, angeregt mit Helena Malkow, der zweiten Vorsitzenden und Voltigiertrainerin, sowie der Tierärztin und
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