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Kalter Schmerz

Kalter Schmerz

Titel: Kalter Schmerz
Autoren: Hanna Jameson
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trifft es eher. Ernsthaft, Nic, erschossen und zu Brei geschlagen.«
    Meine Gedanken schweiften zum Gesicht des Mädchens auf dem Foto: rot, violett, zertrümmert. Ich vermied es, nach oben zu Clare zu schauen, doch ich konnte spüren, wie mich ihr Blick durchbohrte.
    »Wer hat sie gefunden?«
    »Ein Taxifahrer. Ich gebe dir noch Namen und Aussagen, wo und wann.«
    »Du klingst … beeindruckt.«
    »Tja, du bist ja nicht hier. Wir sprechen uns später, ich gebe dir noch ein paar Fotos und so. Dachte nur, du solltest Bescheid wissen.«
    »Danke, muss ich wohl sagen.«
    »Bis später.«
    In einem Moment purer Angst überlegte ich, einfach die Treppe weiter runterzugehen und zu verschwinden, ohne ihr in die Augen zu sehen, so zu tun, als wären die letzten dreißig Sekunden nicht geschehen. Ich schob das Telefon in die Tasche zu Tagebuch und Koks und schaute zu ihr hoch.
    Sie atmete durch, und ein paar lauernde Tränen traten hervor. »Wer war das?«
    »Schon gut, keine Panik«, sagte ich und staunte, wie albern das klang. »Hören Sie mir zu. In wenigen Minuten tauchen hier zwei Beamte auf und werden Sie bitten, mit ins Krankenhaus zu kommen, um jemanden zu identifizieren. Können Sie Pat erreichen?«
    »Ich hab’s versucht, aber er meldet sich nicht …« Sie kam einige Stufen herunter. »Was meinen Sie mit ›jemanden identifizieren‹? Sie glauben, sie wurde gefunden, nicht wahr?«
    »Ich weiß es noch nicht.«
    Warum war ich zurückgekommen? Warum war ich nicht einfach im Auto sitzen geblieben? Warum war ich nicht zu Hause geblieben und diesem Chaos aus dem Weg gegangen?
    Sie kam näher, blieb aber über mir stehen. »Lügen Sie mich nicht an!«
    Es wäre eine Beleidigung gewesen, weiterhin auszuweichen. Sie wusste genau Bescheid. Es war bewundernswert, dass sie sich ausreichend unter Kontrolle hatte, um weiterzusprechen, obwohl ihr die Tränen über die Wangen liefen, aus roten Augen, die die Trauer noch nicht ganz erreicht hatte.
    »Ich glaube, dass sie es ist«, sagte ich sanft, als würde es das leichter machen. »Gibt es noch eine andere Möglichkeit, Pat zu erreichen?«
    Sie wandte den Blick ab. »Er geht nicht dran. Seine Freunde auch nicht.«
    Die Tränen rannen weiter, doch sie waren nur eine Äußerlichkeit, die Nachahmung einer natürlichen Reaktion, um den Schock zu überspielen.
    »Wie können Sie sicher sein?«, fragte Clare.
    »Die Kleidung, hat er gesagt.«
    »Aha …«
    Kurz hatte ich Sorge, sie könnte ohnmächtig werden.
    Draußen fuhr ein Wagen vor, sie legte die Hand vor die Augen. »O Gott, wo verdammt noch mal ist Pat …?«
    Es klopfte, kurze Pause, dann ertönte die Klingel. Ich trat beiseite, damit Clare an mir vorbeikonnte, sie öffnete die Tür und rieb sich die Augen.
    Die Beamten waren uniformiert, jung und ernst.
    »Mrs Dyer?«
    Sie nickte, ohne etwas zu sagen. Bat sie nicht herein.
    »Es tut uns sehr leid, aber entweder Sie oder Ihr Mann müssten uns begleiten, um eine Leiche zu identifizieren, die heute gefunden wurde.« Über ihre Schulter warf mir der Beamte einen Blick zu. Ich stand drei Stufen höher, versuchte, mich im Verborgenen zu halten. »Wenn Sie beide …«
    »Ich bin nicht Pat Dyer«, sagte ich schnell. »Ich bin … ein Freund.«
    Ich spürte, wie die Angst in kalten Wellen von ihr ausging.
    »Haben Sie irgendeine Möglichkeit, mit Mr Dyer Kontakt aufzunehmen?«
    »Nein«, sagte sie. »Nein, er geht nicht ans Telefon.«
    »Ich kann Sie fahren«, bot ich an. Warum, wusste ich nicht. Es kam heraus wie ein Tourette-Anfall.
    Sie sah mich nicht an, sondern nickte nur.
    Es war viertel nach drei.
    Jetzt war ich wirklich am Arsch.
    Wir wurden zum Aufbahrungsraum geführt. Krankenhäuser riechen genauso wie Gefängnisse. Aus Gewohnheit sah ich mich über die Schulter um, blickte in alle Räume, schätzte alle Insassen ab wie im Jugendknast.
    Clare hatte im Wagen nicht gesprochen und sagte auch jetzt nichts.
    Die Gestalt, die wir durch die Glasscheibe unter einem weißen Laken erkennen konnten, wirkte kleiner, als ich erwartet hatte. Plötzlich war mir übel. Auf dem Foto mochte Emma älter ausgesehen haben, doch eigentlich war sie noch ein Kind.
    Das Laken wurde weggezogen, und Clare wich getroffen zurück.
    Ich trat vor. Was mir als Erstes auffiel, was mich fasziniert zur Glasscheibe zog, war das fehlende Gesicht. Es waren nicht die üblichen Knochenbrüche oder violetten Flecken – es war dievöllige Vernichtung. Ich versuchte, die Stelle zu erkennen, wo der Kiefer
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