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Kalter Schlaf - Roman

Kalter Schlaf - Roman

Titel: Kalter Schlaf - Roman
Autoren: A J Cross
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Wenn’s nach mir ginge, bekämen Sie bloß ’nen verdammten Strohhalm. Wir würden gern zusehen, wie Sie verhungern«, knurrte er.
    Creed grinste ihre breiten Rücken an, als sie zur Tür zurückgingen, und hob die Hände vor den Mund. Seine Augen glänzten. Grinsend überzeugte er sich davon, dass die Uniformierten nicht hersahen, bevor er blitzschnell beide Zeigefinger in Richtung von Kates Gesicht ausstreckte und winzige Schneidebewegungen machte.
    Kate, die seinen Blick erwiderte, wartete einige Sekunden, bevor sie sprach. Sie wollte, dass er sich auf sie konzentrierte. Sie wollte, dass er wusste, dass sie es wusste. Jetzt würde sie ihn fertigmachen. »Ich habe etwas für dich, Harry«, sagte sie halblaut und machte eine Pause, damit seine Aufmerksamkeit ihr sicher war. »Und ich weiß eine Story. Möchtest du die hören?«
    Er grinste, als er ihren Blick erwiderte, aber sie merkte, dass er neugierig wartete. Sie glaubte zu hören, wie sich die Räder in seinem Kopf drehten.
    »Nun, diese Story handelt von einem Mann. Tatsächlich von einem Jungen. Und der Junge hatte keinen Vater … na ja, keinen, zu dem er sich offen bekennen durfte. Was unglücklich und traurig ist, nicht wahr?« Er hörte aufmerksam zu, als sie fortfuhr: »Aber was er hatte, war eine Schwester.«
    Sein Gesicht wurde maskenhaft starr.
    »Der Junge und seine Schwester standen sich sehr nahe, wie Geschwister es oft tun. Sie war erheblich älter als er, weißt du«, fuhr Kate im Gesprächston fort, »und hatte ständig Freunde.« Ihr Blick streifte Harry, dessen Gesicht und Körper erstarrt waren. »Sie war eine sehr … attraktive Frau, musst du wissen. Groß, mit goldblondem Haar. Und einer klasse Figur, wie manche Männer sagen würden. Gut gebaut, verstehst du? Sie hat sich sehr figurbetont gekleidet. Enge Miniröcke. Knallenge Latexhosen.«
    An Creeds Haaransatz erschienen winzige Schweißperlen.
    Kate erzählte weiter. »Sie trug tief ausgeschnittene enge Pullover, damit jeder sehen konnte, was sie hatte.« Sie sah über den Tisch. »Versteh mich bitte nicht falsch. Sie war ihm eine gute Schwester. Meistens. Aber sie musste einfach viel unterwegs sein. Sie hatte ein eigenes Leben, nicht wahr? Manchmal hat sie versprochen, bei dem Jungen zu bleiben, aber an den meisten Abenden musste er zusehen, wie sie sich zurechtmachte, um auszugehen und ihn allein bei seinem Großvater zurückzulassen.«
    Kate runzelte plötzlich die Stirn. »Entschuldige, Harry. Ich habe vergessen zu sagen, dass dies eine traurige Story ist.« Sie nickte ernst, sprach leise weiter, während er nach jedem Wort gierte. »O ja, sehr traurig. Weil der kleine Junge wollte, dass seine Schwester bei ihm blieb. Er wollte nicht bei seinem Großvater bleiben müssen. Grandad sagte komische Sachen. Weil Grandad seit Jahren etwas wusste, das der Junge erst später herauskriegen würde.« Kate beugte sich leicht nach vorn, sprach noch leiser. »Grandad wusste, dass die Schwester des Jungen nicht seine Schwester war! Wie findest du das?« Sie wartete einige Sekunden lang. »Hast du schon erraten, wer sie wirklich war?«
    Sie lehnte sich zurück und wartete. Keine Reaktion, außer dass Creeds Augen sich leicht verengten, während er sie wachsam beobachtete. »Nein? Nun, sie war … seine Mutter!« Kate sah, wie seine Lippen zu einem schmalen Strich wurden. »Ich hatte gedacht, dass du das erraten würdest, Harry. Jedenfalls hasste der Junge sie, seine Mutter, weil sie eine Lügnerin war. Sie hatte ihn zehn, elf Jahre lang belogen. Eigentlich sogar sein Leben lang.«
    Kate wartete, beobachtete Creed und sah die angespannten Züge, die starr auf sie gerichteten Augen. Als sie begriff, dass er nicht sprechen würde, fuhr sie fort:
    »Und das ist das Ende der traurigen Geschichte … Oh, ich habe noch etwas vergessen. Ich habe dir nicht erzählt, was aus dem Jungen geworden ist, stimmt’s?« Sie konnte hören, wie er schwer atmete. »Der Hass des Jungen auf seine Schwester, die in Wirklichkeit seine Mutter war, wurde immer stärker. Als er älter wurde, gelangte er zu dem Schluss, alle Weiber seien, unabhängig von ihrem Aussehen, wie sie – Lügnerinnen und Betrügerinnen. Und das machte ihn sehr zornig. Aber am zornigsten war er auf junge Frauen, die groß und schlank waren, die sich geschmackvoll kleideten, dezentes Make-up trugen und weiches blondes Haar hatten. Die hasste er wirklich. Weil er sah, wie gut sie es verstanden, ihr wahres Ich zu tarnen. Er musste ihnen die Maske
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