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Kalendarium des Todes - Mord am Hellweg VI

Kalendarium des Todes - Mord am Hellweg VI

Titel: Kalendarium des Todes - Mord am Hellweg VI
Autoren: Grafit
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Bewegung.
    Alle standen um Siegfried herum. Nachdem das Orchester verstummt und der Notvorhang gefallen war, hatte der Intendant die Veranstaltung mit ein paar kurzen Worten abgebrochen. Ein Arzt hatte den Tenor untersucht und dessen Tod festgestellt.
    Dass Werner Albrecht jetzt mit den Polizisten und Kripobeamten, die nach und nach eingetroffen waren, auf der Bühne stand, verdankte er weniger seiner eigenen Initiative als vielmehr den beiden Kollegen von der Kriminalbereitschaft, die ihn unter den aus dem Theater herausströmenden Zuschauern erkannt und sofort dienstverpflichtet hatten: »Wir brauchen hier jetzt jeden Polizisten, den wir kriegen können!«
    Fassungslos und zitternd stand der Sänger des Hagen da und stammelte immer nur dieselben Worte. »Ich habe doch nichts getan. Nichts getan … Er ist mir doch in den Speer hineingerannt … mit dem Rücken richtig hineingerannt. Es muss mit Absicht geschehen sein. Gerade in dem Moment, in dem ich zusteche«, erklärte er weiter mit zittriger Stimme, »natürlich bremse ich das immer kurz vor seinem Körper ab, gerade in dem Moment muss er sich mit dem Rücken kräftig in den Speer gestürzt haben.«
    Hagens Speer war von hinten bis in das Herz Siegfrieds vorgedrungen und hatte ihn auf der Stelle getötet.
    »Geben sie mir doch mal den Speer«, sagte Kommissar Albrecht.
    Der Sänger des Hagen reichte ihm die Waffe. Albrecht hielt sie ins Licht. »Das ist ja eine richtige Stahlklinge.« Er strich mit seinem Daumen darüber. »Messerscharf. Wird so etwas denn nicht aus Pappmaschee gemacht? Ich meine, auf der Bühne wird doch alles nachgebildet? Oder?«
    Er schaute in die Runde. Aus der Gruppe um den Oberspielleiter löste sich ein Assistent, ein junger Bursche mit brennendem Blick und daumennagelkurzen Haaren: »Ja, das ist schon richtig, aber wir wollten in dieser Inszenierung mehr Realismus erreichen, den Superrealismus, verstehen Sie? Wir wollten die Klinge wirklich blitzen sehen. In der richtigen Beleuchtung bekommt das Ganze dann eine ganz andere Qualität von Gefährlichkeit.«
    »Verstehe«, sagte Kommissar Albrecht und schaute den Assistenten und auch den Oberspielleiter ironisch an. »Das haben Sie ja dann wirklich erreicht. Jetzt haben wir einen Toten.«
    Ein anderer Polizist mischte sich ein: »Die Spurensicherung ist gleich fertig, Herr Kollege. Können wir das Opfer dann zur Gerichtsmedizin bringen lassen?«
    Werner Albrecht nickte. Dann wandte er sich zum Sänger des Hagen. »Sie müssen uns in den nächsten Tagen zur Verfügung stehen und dürfen Hagen nicht verlassen. Zumindest nicht unabgemeldet.« Er gab ihm seine Visitenkarte.
    Er blickte dem Sänger in die Augen. »Sie sind Viktor Bäumer, ist das richtig?«
    »Ja, das ist richtig«, sagte der Sänger leise.
    »Herr Bäumer, Sie sind zumindest verdächtig, an der Tötung beteiligt gewesen zu sein. Wie weit das Ganze Totschlag oder Mord war, werden wir noch herausbekommen. Wir rufen Sie an, wenn wir Sie brauchen.«
    21. Dezember
    Dass Kommissar Werner Albrecht auch am nächsten Tag mit dem Fall des toten Siegfried befasst war, verdankte er diesmal wirklich eigener Initiative – er hatte den Leiter der Kripo angerufen und darum gebeten, die Ermittlungen im Fall des toten Sängers Kraic leiten zu dürfen. Immerhin war er nicht nur quasi Zeuge der Tat geworden, sondern auch als ausgewiesener Opernliebhaber mit den besonderen Gegebenheiten am Hagener Theater und speziell der Götterdämmerung vertraut.
    »Das Opfer ist der Sänger des Siegfried, der Herr Ivo Kraic«, fasste Albrechts Kollege bei der Vormittagsbesprechung zusammen. »Kroate. Verheiratet, zwei kleine Kinder, aber getrennt lebend. Seine finanzielle Situation war mehr als prekär. Also sozusagen pleite. Offenbar eine brotlose Kunst, das Singen.« Er lachte.
    Tadelnd schaute Kommissar Albrecht ihn über seine Lesebrille von unten an. »Man macht keine blöden Witze auf Kosten eines Toten.«
    »Kann es ein Selbstmord gewesen sein?«, wurde gefragt. »In der Rechtsmedizin hat man nicht viel mehr herausbekommen, als dass der Stich von hinten direkt ins Herz gegangen ist.«
    »Das wäre ja wohl der eigenartigste Selbstmord, den ich mir vorstellen kann!«, sagte ein anderer.
    »Aber vielleicht ist er auch nur ausgerutscht und nach hinten gefallen?«, spekulierte Werner Albrecht. »Unbeabsichtigt. Ein Unfall?«
    »Dann würde zumindest die Lebensversicherung zahlen!«, bemerkte der Kollege, der Kraics Finanzen untersucht hatte. »Eine halbe
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