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Kafka: Die Jahre der Entscheidungen (German Edition)

Kafka: Die Jahre der Entscheidungen (German Edition)

Titel: Kafka: Die Jahre der Entscheidungen (German Edition)
Autoren: Reiner Stach
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nicht nur komisch, sondern auch wohltuend handgreiflich ist. Es bringt Wirklichkeit in die Literatur und damit auch in das Gespräch über Literatur. Denn die Frage, wer zu wem hält, ist viel weniger anfällig für Missverständnisse als rein ästhetische Angelegenheiten, und Namen, die zählen, sind eindeutigere Duftmarken als Werke und deren immerzu schwankende Auslegung. Für Schriftsteller, die sich nicht nur als Produzenten, sondern – wie Max Brod und Franz Blei – ausdrücklich auch als Vermittler von Literatur verstehen, gilt das umso mehr. So kann man sich beiläufig vorstellen, was gesprochen wurde, oben auf dem Laurenziberg, im Dunkeln.
    Brod und Blei waren keine Anfänger, seit Jahren schon gab es so etwas wie einen Arbeitszusammenhang, der auf gemeinsamen literarischen Vorlieben gründete. Blei hatte Brods erste Buchveröffentlichung besprochen, die Erzählungen TOD DEN TOTEN! von 1906, und zusammen hatten sie Werke von Jules Laforgue ins Deutsche übertragen. Blei genoss den Ruf eines Alleskönners, eines literarischen Chamäleons, doch vor allem kannte man ihn als Übersetzer und als Herausgeber erotisch-literarischer Zeitschriften mit so kostbaren Titeln {6} wie Der Amethyst und Die Opale , in denen wiederum Brod mit zahlreichen Kleinigkeiten vertreten war.
    Kafka las und liebte diese Hefte, zählte gar zu den wenigen Abonnenten, und das machte es Brod (der dieses Faible viel zu ernst nahm) etwas leichter, den vorsichtigen Freund aus der von ihm bevorzugten Zuschauerrolle herauszulocken und dazu zu bewegen, eigene Texte an Blei zu schicken. So kam es, dass der Name Franz Kafka erstmals in einem luxurierenden, überformatigen, zweimonatlich erscheinenden Organ des literarischen Ästhetizismus zu lesen war, dem Hyperion . Acht knappe Prosastücke waren es, versammelt unter dem Titel BETRACHTUNG. Später ließ sich Kafka auch noch einige Passagen seiner BESCHREIBUNG EINES KAMPFES aus der Hand nehmen – jenes Nicht-Romans, an dem er schon seit Jahren laborierte –, aber das sollte er bald bereuen. Auch eine der ganz wenigen Rezensionen, an denen sich Kafka je versuchte, war einem Buch Franz Bleis gewidmet, und als endlich feststand, dass der Hyperion , wie so vieles, was Blei ins Werk setzte, nach kaum zwei Jahren sich schon erschöpft hatte, schrieb Kafka einen freundlich-hintersinnigen Nachruf: EINE ENTSCHLAFENE ZEITSCHRIFT. [1]  
    Blei rezensiert Brod, Brod vermittelt Kafka, Kafka rezensiert Blei, Blei druckt Kafka und Brod – es deuten sich da die zarten Umrisse einer literarischen Seilschaft an, einer jener zahlreichen Zitiergemeinschaften am Rande des Literaturbetriebs, deren Zweck es ist, von der Peripherie in den Kreis der Etablierten vorzustoßen, dorthin also, wo die kulturelle Ressource lagert, die früher ›Ruhm‹ hieß (und heute ›Erfolg‹ heißt). Diese Seilschaft freilich sollte sich bald als wenig ausdauernd erweisen, allzu lose waren die Fäden geknüpft. Die verspielte, rokokohafte Künstlichkeit, die Blei zur Kunst erklärte, war allzu zeitfern, und auch Brod, der bald darauf das Judentum und die ›Gemeinschaft‹ entdeckte, konnte jenen frei schwebenden Impressionen nicht mehr viel abgewinnen.
    Kafka tat ohnehin nur aus Freundschaft ein wenig mit, und was auch nur von ferne nach literarischer Gefälligkeit aussah, erwartete man von ihm vergebens. Er ließ sich beeinflussen, doch er lobte nicht und wollte nicht gelobt sein, zumindest nicht öffentlich. Die Verachtung des Betriebs , die für schreibende Debütanten im vergangenen Jahrhundert so charakteristisch war, beherrschte ihn noch ungebrochen, und spätestens, als Blei der ›Nachruf‹ vor Augen kam, muss ihm {7} klar geworden sein, dass mit Kafka nicht zu rechnen war. Denn jener knapp zwei Druckseiten umfassende Text, der auf den ersten Blick so wohlwollend den »entschlafenen« Hyperion zur literarischen Kostbarkeit und Blei zum »bewunderungswerten Mann« erklärt, ist, recht besehen, eine polemische Abgrenzung, welche die Mittlerrolle Bleis (und damit auch Brods) für überflüssig, ja sogar für schädlich erklärt:
»Diejenigen, die ihre Natur von der Gemeinschaft fernhält, können nicht ohne Verlust regelmäßig in einer Zeitschrift auftreten, wo sie sich zwischen den anderen Arbeiten in eine Art bühnenmäßigen Lichts gestellt fühlen müssen und fremder aussehn, als sie sind; sie brauchen auch keine Verteidigung, denn das Unverständnis kann sie nicht treffen, und die Liebe findet sie überall. Sie
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