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Kälteeinbruch (German Edition)

Kälteeinbruch (German Edition)

Titel: Kälteeinbruch (German Edition)
Autoren: Jan-Erik Fjell
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das Maul, oder ich komm rüber», sagte der eine, ein robuster Nordnorweger, der noch vor wenigen Stunden damit geprahlt hatte, wie viel Geld er als Fischer verdiente. Heute war er um zwanzigtausend erleichtert worden, den größten Teil davon hatte Anton eingestrichen.
    «Uhh.» Anton zog die Schultern hoch und schlang die Arme um den Körper. «Ich zittere schon.»
    Der Mann am Safe winkte Anton zu sich herüber.
    «Ich wusste gar nicht, dass du ABBA -Fan bist», sagte er.
    «Mir ist nichts Passenderes eingefallen als
The Winner T
…»
    «Ich kenn das Lied», unterbrach ihn der Veranstalter und reichte Anton einen braunen Umschlag. « 57 400  Kronen. Ganz ordentlich, würd ich sagen.»
    «Bisschen mehr als 1500 die Stunde. Minus die 10 000 , mit denen ich mich eingekauft habe. Auch nicht mehr, als ein durchschnittlicher Anwalt verdient.» Anton nahm den Umschlag und steckte ihn in die Innentasche seines Sakkos. «Ja, doch. Ich hab gut gespielt.»
    «Eine ordentliche Portion Glück war auch dabei», erwiderte der Veranstalter, der alle großen Pots mitverfolgt hatte.
    «So was wie Glück existiert in meinem Leben nicht. Ich hab was ganz anderes als Glück. Und weißt du, was das ist?»
    Der Veranstalter sah ihn fragend an und seufzte ein Nein.
    «Talent. Ich bin gut. Begabt. Manche würden sogar behaupten, dass ich der Beste bin, aber …», Anton fuchtelte mit dem Zeigefinger in der Luft, «… zum Glück bin ich bescheiden genug zuzugeben, dass es da draußen noch den einen oder anderen gibt, der besser ist als ich. Da fallen mir locker etliche ein: Phil Ivey, Daniel Negreanu, Gus Hansen, Scotty Nguyen, Phil Hellmuth …»
    Anton hielt inne. Sah zur Decke und runzelte die Stirn. «Nein, vergiss Phil Hellmuth. Ich bin besser als er.»
    Der Veranstalter schüttelte genervt den Kopf. «Soll ich dir ein Taxi rufen?»
    «Yes, Baby», antwortete Anton. Dann wandte er sich zur Tür. Kam an dem Tisch vorbei, an dem die drei Spieler saßen, die er eben abgezockt hatte. Sie starrten allesamt auf denselben Punkt in dem grünen Filz. Während er sich im Schneckentempo zur Tür bewegte, fing er an, die Melodie von
The Winner Takes It All
zu pfeifen. Er drehte den Schlüssel im Schloss und drückte die Tür auf.
    Obwohl die Sonne nur mit Mühe durch einen schmalen Riss in der Wolkendecke blinzelte, blendete sie Anton heftig. Er kniff die Augen zu, drehte sich um und machte sie langsam wieder auf. Rieb sich das Gesicht und gähnte. Auch wenn es annähernd zehn Grad minus sein musste, war die Kälte äußerst wohltuend. Er glühte. Seit ziemlich genau 36  Stunden war er nicht mehr an der frischen Luft gewesen. Davon hatte er schätzungsweise 30  Stunden gespielt, die übrigen sechs hatte er schlafend auf der Rückbank eines neuen Kombis in der Ausstellungshalle verbracht, wofür er sich einen Rüffel vom Veranstalter eingehandelt hatte, der der Ansicht war, er hätte sich zumindest in einen Gebrauchtwagen legen können.
    Sein Handy vibrierte in der Jackentasche. Das Wort
Papa
blinkte auf dem Display. Anton nahm das Handy ans Ohr und sagte: «Hallo.»
    «Anton …?» Obwohl er noch nie erlebt hatte, dass bei seinem Sohn ein anderer ans Handy gegangen war, fragte Antons Vater bei jedem Gespräch nach, ob er mit Anton sprach.
    «Ja, Papa, ich bin’s.»
    «Wie geht’s dir?»
    Anton ließ sich lautstark über seinen Gewinn aus. Für ihn würden allem Anschein nach gute Zeiten anbrechen, die Tausender nur so hereinflattern.
    «Du hast gesagt, dass du mit dem Unfug aufhörst. Nur Idioten verspielen ihr Geld.»
    «Weiß ich, aber ich gewinne d–»
    «Ja, diesmal schon», unterbrach ihn sein Vater. «Das hast du von deinem Onkel. Der hat Haus und Hof verspielt. Und bald hat er sich vermutlich auch zu Tode gesoffen. Wenn es nicht schon passiert ist. Wir haben lange nichts mehr von ihm gehört.» Sein Vater seufzte resigniert. «Aber ich ruf nicht an, um dir die Leviten zu lesen. Bald ist Weihnachten.»
    Natürlich. Hätte er ein wenig nachgedacht, wäre ihm sofort klar gewesen, was sein Vater wollte. Seit Anton von zu Hause ausgezogen war, rief ihn sein Vater jedes Jahr Mitte Dezember an. Immer wieder das gleiche Spiel. Anstatt seinem Sohn auf gut Glück etwas zu kaufen, ging er mit ihm zu seinem alten Arbeitgeber, Goldschmied Ambjørnsen in Fredrikstad. Sein Vater war schon immer an Gold und Edelsteinen interessiert gewesen, an höchster Stelle stand bei ihm jedoch das Uhrmacherhandwerk. 45  Jahre lang hatte er in diesem Beruf
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