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Kabelsalat: Wie ich einem kaputten Kabel folgte und das Innere des Internets entdeckte (German Edition)

Kabelsalat: Wie ich einem kaputten Kabel folgte und das Innere des Internets entdeckte (German Edition)

Titel: Kabelsalat: Wie ich einem kaputten Kabel folgte und das Innere des Internets entdeckte (German Edition)
Autoren: Andrew Blum
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zylinderförmiger Glasfaser-Verteilerkasten, der stark nach einem Auspufftopf aussah und in dem sämtliche Kabel aus der unmittelbaren Nachbarschaft zu einigen wenigen Glasfasersträngen zusammengefasst wurden. Auf einer Straßenkarte würde an dieser Stelle »Carlton Avenue« stehen; auf der Netzkarte von Cablevision war das der Punkt »8M48«, wobei das »M« dieses Viertel im Norden von Brooklyn bezeichnete. Das Kabelfernsehnetz stammte aus den achtziger Jahren. Seither war es stetig ausgebaut worden, was physisch betrachtet bedeutete, dass die Glasfaserkabel sich ausbreiteten wie die Wurzeln eines Baumes, so dass sie immer näher an die Häuser heranreichten und die Kapazität immer weiter zunahm. Derzeit endeten sie an der Bordsteinkante; es war nur eine Frage der Zeit, dann würden sie bis direkt an die Tür reichen.
    In der anderen Richtung gelangte man zur »Kopfstelle«, einem kleinen, fabrikmäßig aussehenden Gebäude ganz in der Nähe, das von einem Zaun umgeben war und ein sogenanntes Cable Modem Termination System, kurz CMTS , beherbergte. Bei diesem Gerät handelte es sich um einen ganz speziellen Router, und so sah er auch aus: ein waschmaschinengroßer Stahlkasten, aus dem gelbe Kabel hervorquollen und der einsam vor sich hin brummte. Alle Cablevision-Kopfstellen waren mit einigen wenigen »Hauptkopfstellen« verbunden. Die in Hicksville auf Long Island – wo sich auch die Firmenzentrale von Cablevision befand – war zugleich das »Breitbandanschluss-Servicezentrum«. Dort standen die gleichen großen Router, wie ich sie im PAIX in Palo Alto gesehen hatte. Das war der Punkt, wo sämtliche zwischen Cablevision-Kunden und dem übrigen Internet hin und her gehenden Signale zusammenliefen. Und ab dort wurde die Spurensuche interessant.
    Cablevision mochte sich gern zugeknöpft geben, aber die Netzwerktechniker des Unternehmens waren unwillkürlich mitteilsamer. Unter www.cv.net/peering führten sie eine Liste mit Orten, an denen Cablevision sich mit anderen Netzen verbindet. Es waren die üblichen Verdächtigen: Hudson Street Nr. 60, Eighth Avenue Nr. 111, Equinix in Ashburn, Equinix in Newark, Equinix in Chicago und Equinix in Los Angeles. Und da die logischen Routen kein Geheimnis sind, konnte ich daraus sogar ableiten, mit welchen Netzen Cablevision sich vernetzte: Level 3 (meine Lieblings-Regenerierungsstation in Oregon), AT & T (ob sie am Briefkasten der Landestation wohl mittlerweile einen neuen Aufkleber haben?), Hurricane Electric (wo Martin Levy arbeitete, der mit der Router-Bildergalerie) und KPN (gleich neben dem zentralen Switch im AMS - IX ). Mir war bewusst gewesen, dass ich hier in New York geographisch gesehen vom Zentrum des Internets nicht weit entfernt war. Überraschend war, wie nahe ich ihm hinsichtlich der logischen Pfade war.
    Das Netz war für mich kein formloses Knäuel mehr, sondern ein Geflecht aus ganz konkreten Wegen, das die vertrautere physische Geographie der Erde überlagerte. Ich hatte präzise Bilder im Kopf, eine kurze, wohlbekannte Liste konkreter Orte. Zugegeben, einige davon waren banal; ich hatte eine Menge gesichtslose Betongebäude und von Neonlampen ausgeleuchtete Flure mit Linoleumboden gesehen. Doch ebenso viele waren schön. Ihre Schönheit lag im Wissen um die Geheimnisse des Netzes begründet und im schlichten Bemühen, mit offenen Augen durch die Welt zu laufen. Auf meiner Suche nach dem Internet hatte ich das Internet hinter mir gelassen. Ich hatte meine Augen vom Bildschirm abgewendet, um mich umzuschauen und mit anderen ins Gespräch zu kommen. Da ist es kein Wunder, dass ich einige der intensivsten Augenblicke – die Momente, in denen ich mich mit jenen Orten am meisten verbunden fühlte – außerhalb elektronisch verschlossener Türen erlebte. Am besten sind mir die Abende und – wie allen Reisenden – die Mahlzeiten in Erinnerung geblieben: das Strandlokal an der Costa da Caparica in Portugal, mit Blick auf die im Atlantik versinkende Sonne (und das in den Tiefen versinkende Kabel); das vierhundert Jahre alte Country Inn in Cornwall, in dem Bauern mit hohen Gummistiefeln sich an den gemauerten Kamin lehnten; die Kneipe in Oregon voller Skifahrer, die in Smartphones vertieft waren, auf denen der blaue Balken von Facebook zu sehen war (und die Daten abriefen, die in unmittelbarer Nähe gespeichert waren).
    Wenn ich an diese Augenblicke denke, muss ich aber auch an das Heimweh denken, das ich in solchen Momenten empfand – vor allem dann, wenn
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