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Kabelsalat: Wie ich einem kaputten Kabel folgte und das Innere des Internets entdeckte (German Edition)

Kabelsalat: Wie ich einem kaputten Kabel folgte und das Innere des Internets entdeckte (German Edition)

Titel: Kabelsalat: Wie ich einem kaputten Kabel folgte und das Innere des Internets entdeckte (German Edition)
Autoren: Andrew Blum
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[03.04.2012].

Epilog
    Wie schon Odysseus festgestellt hat, und viele nach ihm, erschließt sich der Sinn einer Reise immer erst dann, wenn man wieder nach Hause kommt. Aber was bedeutete das für mich, der ich nicht von einem bestimmten Ort zurückkehrte, sondern von überall?
    Am Morgen, an dem ich Oregon verließ, hatte ich in der Flughafenlounge meinen Laptop aufgeklappt, um ein paar Mails zu schreiben, einige Blogeinträge zu lesen und all die anderen Dinge zu tun, die ich immer tue, wenn ich vor dem Bildschirm sitze. Noch seltsamer fühlte es sich an, dasselbe im Flugzeug fortzusetzen. Ich hatte die paar Dollar für die Nutzung des W-LAN -Netzes an Bord ausgegeben und war somit nach wie vor »im Netz«, obwohl ich mich hoch über den Wolken befand. So riesig dieser Kontinent auch sein mochte, im Grunde war er ein einziger, zusammenhängender Raum, in dem alles mit allem vernetzt war – zumindest, was das Internet betraf.
    Doch ich war nicht Zehntausende Meilen kreuz und quer über Kontinente und Ozeane gereist, um am Ende zu glauben, dass das die ganze Wahrheit sei. Meine Reise mag nicht die beschwerlichste gewesen sein – das Internet lässt sich gern an angenehmen Orten nieder –, aber sie war und blieb eine Reise. Der Science-Fiction-Autor Bruce Sterling hat einmal eine weit verbreitete Einstellung in folgende Worte gefasst: »So lange ich einen Breitbandanschluss habe, macht es mir überhaupt nichts aus, dass meine Position auf diesem Planeten beliebig ist.« Aber damit blendet man zu viel von der Realität dessen aus, wie die meisten von uns auf dieser Welt leben. Wir sind nicht nur mit der Welt verbunden, sondern in ihr verwurzelt.
    Kurz nach meiner Rückkehr aus Oregon, wann genau, weiß ich nicht mehr, fischte ich meinen Laptop aus der Reisetasche und klappte ihn auf. Daraufhin dockte er über seine unsichtbare Antenne lautlos und mühelos an meinen weißen W-LAN -Router hinter der Couch an, an den mit dem grün leuchtenden Auge. Für das, was sich auf meinen Bildschirm abspielte, hatte das kaum eine Bedeutung, aber für mich bedeutete es sehr viel: Ich war zu Hause, zurück an meinem Platz im Netz. Als ein paar Jahre zuvor das Eichhörnchen an meinem Kabel geknabbert hatte, konnte ich dem niedlichen Nager (oder war es eine Nagerin?) von dem kleinen Zimmer aus, das ich damals als Büro nutzte, dabei zuschauen. Mittlerweile hatte ich das Zimmer an meine Tochter abgetreten, den Platz meines Schreibtischs hatte ihr Kinderbett eingenommen. Das Eichhörnchen gab es immer noch. Meine Tochter war jetzt groß genug, dass sie sich ans Fenster stellen und ihm zuwinken konnte. Ihre Ecke der Welt war ein magischer Ort, an dem Tiere Geschichten erzählten, Cookies backten und ihr guten Morgen und gute Nacht sagten. Und es war eine kleine Welt, eine Welt mit klar umrissenen geographischen Grenzen. Ihre charakteristischen Merkmale waren wichtig. Auch für mich.
    Das erinnerte mich daran, dass ich jetzt zwar viele der größten Monumente des Internets gesehen, dabei aber eine der Fragen gar nicht beantwortet hatte, mit der ich losgezogen war: Wohin führte das Kabel von hier aus? Wie fügte sich mein Puzzleteil des Internets in das Ganze? Auf dem Gehweg bei uns um die Ecke befand sich ein Metallkasten von der Größe einer Reisetruhe, in der ich die Antwort vermutete. Auf einem Schild stand »Cablevision«, der Name meines Internetproviders. Der Kasten war mit Aufklebern von Musikbands verziert, und wenn ich spät am Abend daran vorbeilief – in Gedanken unwillkürlich bei diesen Zeilen –, hörte ich ein leises Summen.
    Doch nachdem sich so viele Türen des Internets bereitwillig geöffnet hatten, wollte es die grausame Ironie des Schicksals, dass mir ausgerechnet diese weitgehend verschlossen blieb. Cablevision ist eine alles andere als auskunftsfreudige Firma. Erst nach Monaten vergeblicher Anrufe bekam ich endlich einen freundlichen Techniker an die Strippe, der mir den ungefähren Verlauf meines Kabels erklärte. Im Wohnzimmer verschwand es in einem Loch in der Wand, tauchte im Keller unseres einhundert Jahre alten Wohnblocks wieder auf, machte sich dann auf in den Hinterhof, am Eichhörnchen vorbei, überquerte zwei Nachbarhöfe und vereinte sich schließlich unter der Reisetruhe mit einem dicken Bündel anderer Kabel – das insgesamt viel dicker war als die Kabel, die Ozeane überwinden. Neben der Metalltruhe befand sich ein Straßenschacht mit der Aufschrift » CATV «. Darin befand sich ein
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