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Justifiers - Autopilot: Justifiers-Roman 7 (German Edition)

Justifiers - Autopilot: Justifiers-Roman 7 (German Edition)

Titel: Justifiers - Autopilot: Justifiers-Roman 7 (German Edition)
Autoren: Thomas Plischke
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Turms. Im Innern des Molochs kam er sich immer mehr vor, als wäre er in einem gigantischen Mausoleum lebendig begraben. Feiner Nieselregen, der schwach nach Ozon und Motorenöl roch, empfing ihn. Pollock schlurfte zum Geländer der Plattform und umklammerte es mit beiden Händen. Alliance hat Recht! Ich bin zu lange nicht mehr unter Leuten gewesen. Kacke!
    Sein Datenmonokel ließ eine Textnachricht von Madonna aufploppen. »Hast du dich verlaufen? Du wirst schon sehnlichst erwartet«, lautete sie.
    »Ja, ja, ja …«, grummelte Pollock. »Ein alter Detektiv ist doch kein Sprungschiff.« Wovor habe ich eigentlich Angst? Davor, die Wahrheit über Gambela herauszufinden? Er schlug seinen Mantelkragen hoch und steckte die geballten Fäuste in die Seitentaschen. Scheiß drauf! Das kommt davon, wenn man sich an die Ungewissheit gewöhnt.
    Pollock suchte sich ein Treppenhaus und ging die letzten knapp sechzig Etagen zu Fuß. Wenn er eines in seinen zwei Jahrzehnten auf einer Raumstation über sich gelernt hatte, dann das: Körperliche Betätigung verscheuchte Beklemmungen, linderte Ängste und blies einem die Birne frei. Kurz vor seinem Abflug Richtung Sol hatten Sigmund und Carl – die Psychoanalyse-Avatare, die Pollock zu seiner eigenen Überraschung ernsthaft vermisste – ihm vorgerechnet, dass er bei seinem Joggen und Spazieren in der Station insgesamt eine Strecke zurückgelegt hatte, die zweimal um den Erdball reichte.
    Ungefähr um das zwanzigste Stockwerk herum spürte Pollock bereits ein angenehmes Brennen in den Oberschenkeln. Weniger angenehm war, dass das Treppenhaus nach und nach den sozialen Abstieg widerzuspiegeln begann, den er hier vollzog.
    Die flackernden Deckenlampen waren vergittert, die Sicherheitskameras abmontiert, zerschlagen oder angezündet und nie ersetzt worden. Folgerichtig waren die Wände förmlich mit Ganggraffitis, animierten Flyern für halb legale Clubs und Aufrufen zu Flashmobs und anderen Protestaktionen tapeziert. Zudem wurde die Luft nicht nur stickiger, sondern zunehmend mit dem beißenden Gestank von Ammoniak geschwängert, weil es auf den unteren Ebenen des Megaturms scheinbar üblich war, zum Austreten kurz im Treppenhaus zu verschwinden.
    Zweimal passierte Pollock Lager von Menschen, die in Ermangelung bezahlbaren Wohnraums hierhin ausgewichen waren und sich in improvisierten Unterständen aus Kartons, Thermoplanen und aus höheren Ebenen geraubten Plastikmöbeln mehr oder minder häuslich eingerichtet hatten. In einem dieser Minislums reckte ihm ein Mädchen, das höchstens sechs oder sieben sein konnte, eine Multibox mit angeschlagenem Display entgegen und fragte: »Bump?«
    Pollock hätte an seiner Multibox, die er am Handgelenk trug, nur kurz per Sprachbefehl die CashCow-App aktivieren und einen Betrag nennen müssen, und schon hätte er der Kleinen mit einem sachten Aneinanderstupsen der Geräte ein kleines Almosen zukommen lassen können. Er entschied sich dagegen, weil er nicht ausschließen konnte, dass ihre Box völlig virenverseucht war. Also kramte er in seiner Manteltasche nach einem Kaugummi, schnippte es ihr hin und ging weiter. Das Mädchen bedankte sich mit einem gezischten Fluch, bei dem einer empfindsameren Seele als Pollock die Schamesröte ins Gesicht gestiegen wäre.
    Die Etage, auf der er das Treppenhaus verließ, als Amüsierviertel zu bezeichnen, wäre etwas zu hoch gegriffen gewesen. Suchtbefriedigungsquartier hätte es eher getroffen: Billigste Bumslokale reihten sich an Neopiat-Höhlen, versiffte Spielhallen und dubiose Wettbüros.
    Pollocks Ziel, das Hanif Cromwell, pries sich selbst auf einem Laufdisplay über dem Eingang als »Original britindischer Pub aus der guten alten Zeit« an, was immer das auch heißen sollte. Der Türsteher – ein bulliger Sikh inklusive Rauschebart und Turban – nickte Pollock halbwegs freundlich zu, als er die Kaschemme betrat. Drinnen lief eine mit rhythmischen Pfauenschreisamples unterlegte E-Sitar-Version der alten Volksweise London Calling . Gegenüber einer opulenten Bar aus geschnitzten Elefanten, auf deren Rücken der eigentliche Tresen ruhte, war der Raum in eine Reihe halbrunder Nischen unterteilt. Dort lockten abgewetzte Sitzkissen und niedrige Tische, auf denen vollautomatische Shishas standen. Das wabernde Aroma von aufputschendem Tarótee, schalem Ale und kaltem Rauch kitzelte Pollock in der Nase.
    In dem Laden steppte nicht gerade der Bär. Pollock war gerade mal einer von vier Gästen, um die sich die
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