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Just Kids

Titel: Just Kids
Autoren: Patti Smith
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ausschließlich für die Kunst zu leben.
    Dieser Bruch mit seinem Vater machte Robert zu schaffen. Irgendetwas in ihm ließ sich nicht leugnen, obwohl er zugleich den Wunsch hatte, es seinen Eltern recht zu machen. Robert sprach selten von seiner Jugend oder seiner Familie. Er sagte immer, er sei in geordneten Verhältnissen aufgewachsen, dass es ihm in materieller und praktischer Hinsicht an nichts gefehlt habe. Aber er unterdrückte stets seine wahren Gefühle, darin war er das Ebenbild seines stoischen Vaters.

    Seine Mutter träumte davon, dass er in den Dienst der Kirche treten würde. Er war gerne Messdiener, aber was ihm daran gefiel, war eher der Zugang zu geheimen Orten wie der Sakristei, zu verbotenen Kammern, und die Gewänder, die Rituale. Er hatte keinen religiösen oder frommen Zugang zur Kirche; es war ein rein ästhetischer. Der Kitzel des Kampfs zwischen Gut und Böse zog ihn an, vielleicht, weil er darin seine eigenen inneren Konflikte wiedererkannte und eine Linie sah, die er noch überschreiten musste. Trotzdem war er am Tag seiner Erstkommunion stolz, weil er diese heilige Pflicht gemeistert hatte, und genoss es, im Mittelpunkt zu stehen. Er trug eine riesige Baudelaire-Schleife und ein Armband, wie es schon der sehr aufsässige Arthur Rimbaud getragen hatte.
    Im Haus seiner Eltern war kein Platz für Feinsinn und künstlerische Unordnung. Es war blitzblank und aufgeräumt, ein Musterbeispiel für die Mittelstandsbefindlichkeit der Nachkriegszeit, die Zeitschriften im Zeitschriftenhalter, der Schmuck im Schmuckkästchen. Sein Vater Harry konnte streng und schroff in seinem Urteil sein, Eigenschaften, die Robert ebenso von ihm geerbt hatte wie dessen starke, sensible Finger. Von seiner Mutter hatte er den Ordnungssinn und das schiefe Lächeln, mit dem er immer wirkte, als wüsste er etwas, was andere nicht wussten.
    Einige von Roberts Zeichnungen fanden einen Platz an der Wand im Flur. Solange Robert zu Hause wohnte, tat er sein Bestes, ein pflichtgetreuer Sohn zu sein, er entschied sich sogar für den Studiengang, den sein Vater ihm vorschrieb und wurde Werbegrafiker. Wenn er auf eigene Faust etwas entdeckte, behielt er es für sich.
    Robert konnte nie genug bekommen von meinen Kindheitsabenteuern, aber wenn ich nach seinen fragte, hatte er wenig zu erzählen. In seiner Familie wurde nicht viel geredet odergelesen, sagte er, man vertraute sich keine intimen Dinge an. Es gab keine gemeinschaftliche Mythologie, keine Geschichten von Verrat, Schätzen oder Schneeburgen. Es war eine gesicherte Existenz, aber keine märchenhafte.
    »Du bist meine Familie«, sagte er immer zu mir.

    Als junges Mädchen brachte ich mich in Schwierigkeiten. 1966, am Ende des Sommers, schlief ich mit einem Jungen, der noch unerfahrener war als ich, und ich war auf der Stelle schwanger. Ich ging zu einem Arzt, der meine Not nicht ernst nahm und mich mit einem etwas zerstreuten Vortrag über den weiblichen Zyklus abspeiste. Aber nach einigen Wochen wusste ich, dass ich ein Kind erwartete.
    Ich bin in einer Zeit groß geworden, in der Sex außerhalb der Ehe absolut undenkbar war. Empfängnisverhütung kannten wir nicht, und ich war mit neunzehn noch völlig ahnungslos, was Sex betraf. Unsere Vereinigung war flüchtig; so zart, dass ich nicht mal genau wusste, ob es überhaupt zum Liebesakt gekommen war. Aber schließlich behielt die Natur mit all ihrer Gewalt recht. Die Ironie, dass ausgerechnet ich, die weder ein Mädchen sein noch erwachsen werden wollte, jetzt mit dieser Schicksalsprüfung geschlagen war, entging mir nicht. Ich musste vor der Natur kapitulieren.
    Der Junge, erst siebzehn, war so unerfahren, dass man ihn kaum verantwortlich machen konnte. Ich musste schon selbst damit fertig werden. Am Morgen von Thanksgiving saß ich auf dem Feldbett in der Waschküche meines Elternhauses. Dort schlief ich, wenn ich im Sommer in der Fabrik arbeitete, und auch sonst, wenn ich die Staatliche Pädagogische Hochschule in Glassboro besuchte. Ich hörte, wie meine Eltern Kaffee kochten und meine lachenden Geschwister sich um den Tisch versammelten. Ich wardie Älteste und der ganze Stolz der Familie, weil ich aufs College ging und dazu noch mein Studium selbst finanzierte. Mein Vater fürchtete, ich sei nicht hübsch genug, um einen Ehemann zu finden, und meinte, als Lehrerin hätte ich ein sicheres Auskommen. Es würde ein schwerer Schlag für ihn sein, wenn ich mein Studium abbrechen musste.
    Ich saß lange da und betrachtete
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