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Just Kids

Titel: Just Kids
Autoren: Patti Smith
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meine Hände, die ich über dem Bauch verschränkt hatte. Ich hatte den Jungen aus der Verantwortung entlassen. Er war wie ein Falter, der sich noch aus dem Kokon kämpfte, und ich brachte es nicht übers Herz, ihm seinen ungelenken Weg ins Leben noch zusätzlich zu erschweren. Ich wusste, dass er mir nicht weiterhelfen konnte. Genauso sicher wusste ich, dass ich nicht in der Lage war, mich um ein Baby zu kümmern. Ich hatte mich an einen verständnisvollen Professor gewandt, der ein Akademikerpaar gefunden hatte, das sich sehnlich ein Kind wünschte.
    Ich sah mich in meiner Unterkunft um: eine Waschmaschine, ein Trockner, ein großer Weidenkorb, der vor schmutziger Wäsche überquoll, die Hemden meines Vaters, die gefaltet auf dem Bügelbrett lagen. Ich hatte ein Tischchen, auf dem ich meine Zeichenstifte, meinen Skizzenblock und eine Ausgabe von Illuminationen griffbereit liegen hatte. Da saß ich und bereitete mich innerlich darauf vor, meinen Eltern entgegenzutreten; ich flüsterte ein Gebet. Für einen kurzen Moment war mir, als müsste ich sterben – aber schlagartig wusste ich, dass alles gut werden würde.
    Eine beinahe unbeschreibliche Ruhe kam plötzlich über mich. Absolute Entschlossenheit verdrängte meine Ängste. Ich schrieb das dem Baby zu und stellte mir vor, dass es sich mit mir solidarisierte. Ich spürte, dass ich alle Fäden in der Hand hatte. Ich würde meine Aufgabe erfüllen und stark und gesund bleiben. Ich würde nie zurückschauen. Ich würde nicht in die Fabrik oder ans College zurückkehren. Ich würde Künstlerin werden. Ich würde mich beweisen, und mit diesem neuen festen Vorsatz stand ich auf und ging in die Küche.
    Ich flog vom College, aber das war mir egal. Ich wusste, dass an mir keine Lehrerin verloren gegangen war, obwohl ich es immer noch für einen bewundernswerten Beruf hielt. Ich lebte weiterhin in meiner Waschküche.
    Meine Kommilitonin Janet Hamill gab mir moralische Unterstützung. Sie hatte ihre Mutter verloren und zog darum zu uns. Ich teilte mein beengtes Zimmer mit ihr. Wir hatten beide große Träume, teilten aber auch die Liebe zum Rock’n’Roll und verbrachten lange Abende mit Erörterungen zum Thema Beatles versus Rolling Stones. Stundenlang hatten wir bei Sam Goodys Plattenladen angestanden, um Blonde On Blonde zu kaufen, und durchkämmten ganz Philadelphia nach einem Schal, wie ihn Bob Dylan auf dem Cover trug. Wir zündeten Kerzen für ihn an, als er seinen Motorradunfall hatte. Wir lagen im hohen Gras und hörten Light My Fire aus dem Radio in Janets verbeultem Auto, das mit offenen Türen am Straßenrand stand. Wir schnitten unsere langen Röcke minikurz wie die von Vanessa Redgrave in Blow Up, und suchten in Secondhandläden nach Paletots, wie Oscar Wilde und Baudelaire sie getragen hatten.
    Sie war mir für den Rest des Semesters eine treue Freundin, aber als meine Schwangerschaft sichtbar wurde, musste ich irgendwo anders Zuflucht suchen. Gehässige Nachbarn machten es meiner Familie unmöglich, mich dazubehalten, sie behandelten sie, als hätte sie einen flüchtigen Verbrecher bei sich aufgenommen. Ich fand eine Ersatzfamilie weiter südlich an der Küste, bei einem Paar, das ebenfalls Smith hieß. Ein Maler und seine Frau, eine Töpferin, waren so freundlich, mich aufzunehmen. Sie hatten selbst einen kleinen Jungen, und ich fand bei ihnen ein diszipliniertes und liebevolles Umfeld von makrobiotischer Ernährung, klassischer Musik und Kunst. Ich fühlte mich einsam, aber Janet besuchte mich, wann immer sie konnte. Ich verfügte über ein kleines Taschengeld. Jeden Sonntag unternahm ich einen langen Spaziergang zu einem abgelegenen Strandcafé und leistete mir einen Kaffee und einen Marmeladen-Donut, zwei Dinge, die in einemHaushalt, in dem gesundheitsbewusst gegessen wurde, verboten waren. Ich kostete diese kleinen Sünden aus, auch wenn ich einen Vierteldollar in die Jukebox steckte und dreimal hintereinander Strawberry Fields hörte. Es war mein privates Ritual, und die Worte und die Stimme von John Lennon gaben mir die notwendige Stärke, wenn mich der Mut zu verlassen drohte.
    Nach den Osterfeiertagen holten meine Eltern mich ab. Die Wehen setzten mit dem Vollmond ein. Meine Eltern fuhren mich zum Krankenhaus in Camden. Da ich unverheiratet war, waren die Schwestern grausam und lieblos zu mir und ließen mich stundenlang auf einem Tisch liegen, ehe sie den Arzt informierten, dass meine Wehen eingesetzt hatten. Sie verhöhnten mich wegen meiner
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